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Autor
Barry, Sebastian

Tage ohne Ende

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Beschreibung

Irgendwo in den blutjungen USA. Grasslands. Mitten durch die Szenerie wälzt sich schnaufend und stampfend eine Büffelherde. Die Pferde tänzeln nervös auf dem schwankenden Grund. Die Sonne brennt. In den Gliedern der schwitzenden Männer, die mit ihren Flinten auf den abgemagerten Gäulen hocken, eine elektrische Spannung. Plötzlich preschen die indianischen Scouts auf die Büffelherde los, die mageren Soldaten folgen mit einigem Abstand. Einer hebt die Flinte im Galopp. Die Jagd ist eröffnet …

Man kennt es, man hat es tausendmal gelesen, gehört, gesehen und manchem steigt dann ein schaler Geschmack aus der Magengrube aufgrund der Klischees, die hier kultiviert werden …

Denn der eben bei Steidl erschienene neue Roman des irischen Schriftstellers Sebastian Barry ist eine Wiederholung dieser Klischees. Aber was für eine!
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Steidl Verlag, 2018
Format
Gebunden
Seiten
261 Seiten
ISBN/EAN
978-3-95829-518-6
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Sebastian Barry, 1955 in Dublin geboren, gehört zu den “besten britischen und irischen Autoren der Gegenwart” (Times Literary Supplement). Er schreibt Theaterstücke, Lyrik und Prosa. Bei Steidl erschienen bisher seine Romane Ein verborgenes Leben, ausgezeichnet mit dem Costa Book of the Year Award und auf der Shortlist für den Booker Preis, Mein fernes, fremdes Land, ausgezeichnet mit dem Walter Scott Prize for Historical Fiction, Ein langer, langer Weg, auf der Shortlist für den Booker Preis, und Gentleman auf Zeit. Sebastian Barry lebt in Wicklow, Irland.

Zum Buch:

Irgendwo in den blutjungen USA. Grasslands. Mitten durch die Szenerie wälzt sich schnaufend und stampfend eine Büffelherde. Die Pferde tänzeln nervös auf dem schwankenden Grund, kauen auf ihren Trensen, Spuckeflocken stieben. Die Sonne brennt. In den Gliedern der schwitzenden Männer, die mit ihren Flinten auf den abgemagerten Gäulen hocken, eine elektrische Spannung. Das nagende Hungergefühl ist im Adrenalin ertrunken. Plötzlich preschen die indianischen Scouts auf die Büffelherde los, die mageren Soldaten folgen mit einigem Abstand. Einer hebt die Flinte im Galopp. Die Jagd ist eröffnet …

Später dann noch: Schöne Squaws, spektakuläre Ausbruchsszenen aus dem backsteingemauerten Knast, Wagenladungen an Dynamitstangen, indianische Medizinmänner, fiese Typen mit speckigen Hüten.

Man kennt es, man hat es tausendmal gelesen, gehört, gesehen. Man schmeckt sofort die pulverschwere Luft des amerikanischen Westens, riecht den billigem Whiskey und das abgehangene Dörrfleisch und spürt den Wolf von den langen Ausritten ins Indianerland zwischen den Beinen. Und manchem steigt dann ein schaler Geschmack aus der Magengrube aufgrund der Klischees, die hier kultiviert werden … Denn der eben bei Steidl erschienene neue Roman des irischen Schriftstellers Sebastian Barry ist eine Wiederholung dieser Klischees. Aber was für eine!

An einem regnerischen Tag lernen sich zwei junge Kerle in einem Gebüsch irgendwo in der Weite hinter St. Louis kennen. Beide suchen Deckung vor dem drohenden Wolkenbruch. Kritisch beäugen sie sich, wechseln ein paar Worte, und schon nach Kurzem ist klar, dass sich in diesem Gestrüpp in der trüben amerikanischen Ursuppe des mittleren 19. Jahrhunderts Bande fürs Leben geknüpft haben. Castor und Pollux im Wilden Westen – ein temporeiches Abenteuer beginnt.

Einer der beiden, der herrlich schnoddrige Ire Thomas McNulty, nimmt den Leser an die Hand und führt ihn in einer hervorragend austarierten Mischung aus grobem Gossensprech und hoher Poesie durch die Räume seiner Erinnerung: „An dieser Stelle meines biographischen Unternehmens muss ich gestehen, dass ich einen alten Weizensack trug, der in der Taille zusammengebunden war. Hatte zwar Ähnlichkeit mit Kleidung, aber nicht sehr. John Cole war besser dran, in einem komischen schwarzen Anzug, der, den Löchern nach zu urteilen, dreihundert Jahre alt gewesen sein musste. Um den Schritt herum war´s jedenfalls, soweit ich sehen konnte, ziemlich windig.“

Barry lässt seinen McNulty episodisch erzählen. Und so entstehen eine Reihe miteinander verbundener Geschichten, die nicht nur jede für sich einen ordentlichen Spannungsbogen haben, sondern auch eine Reihe von typischen Western-Schauplätzen präsentieren. Wie es sich gehört, bekommt der Leser eine fulminante Tour durch das Amerika der Sezessionskriege: Die blutigen Massaker an den Indianern sind genauso Thema wie das Leben der gemeinen Soldaten in der Armee: Arme Schlucker, abgerissen und verroht, die kaum wissen, wofür sie über die Schlachtfelder Amerikas gescheucht werden.

Neben den beeindruckenden Bildern, die vor poetischer Kraft nur so strotzen, und einer Handlung, die nach allen Regeln der Genrekunst an Herz und Nerven geht, besteht der besondere Reiz des Romans in der völlig unaufgeregten und quasi en passant erzählten Liebesgeschichte, die für damalige Verhältnisse (und mancherorts leider wohl auch noch für heutige) mehr als ungewöhnlich ist: Der Erzähler Thomas McNulty ist transsexuell, und sein Kumpan John Cole ist nicht nur sein treuer Kamerad in schweren Zeiten, sondern eben auch sein Lebensgefährte.

Dass die beiden ein Indianermädchen adoptieren und sich nichts sehnlicher wünschen, als ein beschauliches Leben mit Haus, Hof und Tochter zu führen, ist da nur konsequent. Dieser Wunsch nach Frieden, Freiheit und Selbstverwirklichung – nichts anderes also als der American Dream – ist der tatsächliche Motor der Handlung.

Sebastian Barry hat mit Tage ohne Ende eine Variation des Western-Genres geschrieben, die alles liefert, was der Leser erwarten kann – und mehr! Freunde waschechter Wildwestabenteuer kommen in der rasanten Story, die quer durch das Amerika der 1850er Jahre führt, voll auf ihre Kosten (Büffeljagd, Gefängnisepisode und reichlich verspritztes Fiesling-Blut inklusive), genauso wie Fans fein abgewogener sprachlicher Drahtseilakrobatik und Connaisseure guter Literatur. Das in diesem Sprach- und Kanonengewitter so fein und zart eingeflochtene Thema der Trans- und Homosexualität, im Ergebnis ein konsequentes Nachdenkens über den etwas ausgeleierten Begriff des American Dream und über die Bedeutung des Wortes Freiheit, ist die unaufdringliche, aber um so schönere Perle dieses Buches. Wiederholungen, zeigt Barry, können wahnsinnig gut funktionieren.

Johannes Fischer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt