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Autor
Guérot, Ulrike

Der neue Bürgerkrieg

Untertitel
Das offene Europa und seine Feinde
Beschreibung

Europa steckt tief in der Krise. Die von den Rechtspopulisten angestrebte Rückkehr zu nationalstaatlicher Konkurrenz kann nicht die Lösung sein. Ulrike Guérot plädiert für einen radikalen Neuanfang: Dem gemeinsamen Markt und der gemeinsamen Währung muss endlich eine gemeinsame europäische Demokratie folgen. Nur so können wir das weltoffene Europa bewahren, das die Mehrheit der Europäer nach wie vor will.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Ullstein Verlag, 2017
Format
Gebunden
Seiten
96 Seiten
ISBN/EAN
9783549074916
Preis
8,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Ulrike Guérot, Jahrgang 1964, Politikwissenschaftlerin, ist Gründerin und Direktorin des European Democracy Labs an der European School of Governance in Berlin und seit 2016 Professorin und Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems/Österreich. Sie hat zwanzig Jahre in Thinktanks in Paris, Brüssel, London, Washington und Berlin zu Fragen der europäischen Integration und der Rolle Europas in der Welt gearbeitet. Ihr Buch “Warum Europa eine Republik werden muss” hat europaweit für Aufmerksamkeit gesorgt.

Zum Buch:

Die Erfolge von AfD und Pegida, der Brexit in Großbritannien und Trumps Sieg in den USA haben unser demokratisches Zusammenleben, unsere Basis der Verständigung mehr in Frage gestellt, als wir das vor den Wahlen, als wir das vor der Flüchtlingskrise für möglich gehalten hätten. Während die einen bisher in ihrer Position ‚gegen etwas zu sein’, leichtes Spiel hatten, war die Position ‚für etwas zu sein’ – ohne deshalb als unkritischer Mitläufer zu gelten, der Ungerechtigkeiten und Probleme der Gesellschaft einfach unter den Teppich kehrt –, schon schwerer zu beziehen, wie sich übrigens auch an der Bewegung Pulse of Europe zeigt. Dass die Verteidigung der Idee Europas kein dumpfes Beharren auf dem Status quo ist, sondern im Gegenteil die eigentliche intellektuelle Herausforderung der Stunde, das zeigen zwei der vielen Streitschriften, die in diesem Frühjahr erschienen sind: Ulrike Guérots Der Neue Bürgerkrieg und Jürgen Wiebickes Zehn Regeln für Demokratieretter (vgl. dazu die Rezension weiter hinten).

Der Titel von Ulrike Guérots Der Neue Bürgerkrieg, Das offene Europa und seine Feinde spielt sicherlich ganz bewusst mit unseren Ängsten angesichts der Krise, in der Europa steckt. Das muss aber kein Fehler sein, denn tatsächlich müssen wir uns in Europa über unser Zusammenleben, über unsere Idee von Europa dringend Gedanken machen und sollten das Feld nicht den Politikern einerseits, den Populisten andererseits überlassen. Dass alle Nationalisten und Identitären trotz ihres Bestrebens den Nationalismus wieder zum Erstarken zu bringen, letztlich über die Grenzen hinweg mehr verbunden sind als sie in ihren Parolen verlauten lassen, stellt Guérot gleich auf den ersten Seiten fest. „Es ist keine Auseinandersetzung zwischen Nationen, sondern eine politisch-idelologische Frontstellung, die längst paneuropäisch verläuft.“ Die (unbewusste) Zerschlagung des Nationalen durch die Identitären kann man sich also durchaus zunutze machen, um die Einheit Europas zu stärken.

Warum aber bemüht sie das Wort Bürgerkrieg? Möchte sie ihn gar heraufbeschwören? Guérot bezieht sich mit dem Wort auf proeuropäische Schriften aus den 1920er und 1940er Jahren, unterstreicht damit aber zugleich die Dringlichkeit europäischer Reformen. „Die sich überlappende Euro- und Flüchtlingskrise bilden die doppelte Matrix des latenten europäischen Bürgerkriegs“. Europa, wie es derzeit gelebt wird, ist nicht das Europa, das wir gewollt haben, es ist nicht das Europa, das wir in Zukunft haben wollen. Der gemeinsamen Währung ist eine Fiskal- und Sozialunion zur Seite zu stellen, anstelle nationaler Poltik müsse die europäische Republik treten, die Wahl eines europäischen Parlaments. Guérots Bürgerkrieg ist also letztlich ein Aufruf, dass wir die Zeichen ernst nehmen und europäische über nationale Interessen stellen – ihre Kritik an deutscher EU-Politik sind dabei überaus lesenswert.

Ein bisschen erinnert der Titel der Streitschrift an Le Corbusiers Vers une architecture, einer epochenmachenden Schrift für das neue Bauen aus den 20er Jahren, in der Le Corbusier prophezeit, wenn es keine neue Architektur gebe, die Revolution unvermeidbar wäre. Die Revolutionierung und Demokratisierung des Wohnens ist wie auch die Idee Europas seit den 1920er Jahren nur zu Teilen verwirklicht worden und viel ist auch dabei schief gegangen, wer aber Guérots Streitschrift gelesen hat, der weiß nicht nur, dass wir weiterbauen müssen, er weiß auch, wie der Bau gelingen kann.

Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt