Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Hein, Christoph

Landnahme

Untertitel
Roman
Beschreibung

Christoph Hein erzählt die Lebensgeschichte Bernhard Habers über fast fünfzig Jahre aus der Sicht und mit den Stimmen von fünf Wegbegleitern. Es ist der Lebenslauf eines Außenseiters in der Provinz, der mit der großen Geschichte scheinbar nichts zu tun hat und doch den Verlauf deutscher Geschichte vom zweiten Weltkrieg bis zur Jahrtausendwende exemplarisch spiegelt.

Verlag
Suhrkamp, 2005
Format
Taschenbuch
Seiten
38 Seiten
ISBN/EAN
978-3-518-45729-0
Preis
11,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Bernhard Haber ist zehn, als er 1950 mit seinen Eltern aus Breslau in eine sächsische Kleinstadt kommt, wo man Vertriebene und Ausgebombte lieber heute als morgen wieder abreisen sähe. Zwar werden Handwerker gebraucht, und Bernhards Vater ist Tischler, aber die Einheimischen bestellen ihre Möbel natürlich nicht bei dem Fremden. Dem Jungen begegnet man in der Schule nicht viel besser, sich durchbeißen und immer wieder Schläge einstecken – das erkennt er rasch als den einzigen Weg. Daß Bernhard nach der 8. Klasse eine Tischlerlehre beginnt, wundert niemanden, eher schon, daß er später zeitweise als Karusselbesitzer sagenhaft viel Geld verdient. Peter Koller, der in einem selbstgebauten Auto zahlende Gäste nach Westberlin gebracht hat und dafür ein paar Jahre ins Gefängnis muß, weiß genauer, woher Bernhards Wohlstand stammt, aber er verpfeift ihn nicht. Überhaupt hat Haber Glück mit den Leuten um sich herum: mit seiner Frau Friederike, die ihn anhimmelt, mit seiner Schwägerin Katharina, die ihm beigebracht hat, was Liebe ist, mit dem Sägereibesitzer Sigurd, der dafür sorgt, daß Bernhard als Tischlermeister in den Kegelklub aufgenommen wird, wo die Selbständigen sich treffen, um den nötigen Einfluß auf die Politik des Ortes zu nehmen … vor 1989 und erst recht in den wilden Jahren danach.

Zum Buch:

Christoph Hein erzählt in seinem neuen Roman “Landnahme” die Geschichte einer Flüchtlingsfamilie, die keine Heimat finden kann: Bernhard Haber ist zehn, als er 1950 mit seinen Eltern aus Breslau ins sächsische Guldenberg kommt, wo man Vertriebene und Ausgebombte lieber heute als morgen wieder abreisen sähe. Zwar werden Handwerker gebraucht, und Bernhards Vater ist Tischler, aber die Einheimischen bestellen ihre Möbel nicht bei dem Fremden. Eines Tages zündet man ihm die Werkstatt an. Dem Jungen begegnet man in der Schule nicht viel besser, doch er schwört sich Vergeltung “Drahtschlinge für Drahtschlinge”, damit hatte man ihm den Hund umgebracht. Die Lebensgeschichte Bernhards ist gleichzeitig eine politische Geschichte von 50 Jahren – vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Jahrtausendwende. Zu erfahren ist, wie aus dem Außenseiter und ungeliebten Flüchtlingskind ein erfolgreicher Geschäftsmann wird, der trotz seiner Biographie nicht frei von rassistischen Anwandlungen ist. Die Erzählperspektiven sind wechselhaft, es berichten 5 Menschen aus dem Umfeld von Bernhard, die ihm alle nicht besonders nah standen und daher auch nur facettenartig Informationen beisteuern können. Diese Mosaiksteine ergeben dann das Bild einer Persönlichkeit, eines nicht besonders sympathischen Menschen, der sich durchschlägt, vom Außenseiter bis zum ehrenwerten Bürger der Kleinstadt. Durch die 5 Erzähler entsteht, wie ein Rezensent meinte, ein epischer Fünfteiler mit Seitenaltären, dessen Einzelteile eine unterschiedliche erzählerische Dichte besitzen. Doch die Klasse dieses Romans kommt aus der Gesamtkomposition, die eben über die dargestellte Person hinausgeht, die ein Bild gibt von der kleinbürgerlichen Welt in Sachsen in den 50er, von dem Fremdenhass auf die “Heimatvertriebene” und von der Wendementalität nach 1989. Insofern ist Christoph Hein, der nach “Willenbrock” einen zweiten “Wenderoman” vorlegt, ein Chronist seiner Zeit, der natürlich auch autobiographische Erfahrungen verarbeitet. Gerade die enge Anlehnung an die Hauptperson macht das Gesellschaftsbild umso glaubhafter, weil es immer konkret bleibt.

Martin Sölle, Der Andere Buchladen Köln