Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Keener, Jessica

Schwimmen in der Nacht

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Maria Hummitzsch
Beschreibung

„Schwimmen in der Nacht“ erzählt vom Aufwachsen im Amerika der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sarah lebt mit ihren Eltern und drei Brüdern in einem Vorort von Boston. Sie sind eine ganz normale, wohlhabende jüdische Familie – allerdings ist der Vater ziemlich cholerisch, und die Mutter lebt hinter einem Schleier von Tabletten und Alkohol. Für die Kinder, die nach ihrem Platz in dieser Welt suchen, ist das Hausmädchen verlässlicher als die mit sich beschäftigten Eltern. Als die Mutter bei einem unerklärlichen Unfall ums Leben kommt, bricht die vermeintliche Idylle endgültig zusammen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag C.H.Beck, 2014
Format
Gebunden
Seiten
335 Seiten
ISBN/EAN
978-3-406-65939-3
Preis
19,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Jessica Keener wuchs in der Nähe von Boston auf, wo sie heute wieder lebt. Für ihre Stories wurde sie für den Pushcart Prize nominiert. Ihre Prosa wurde in verschiedenen Literaturzeitschriften veröffentlicht und mit vielen Preisen ausgezeichnet. „Schwimmen in der Nacht“ ist ihr erster Roman, der in The New York Times, dem Boston Globe und anderen wichtigen Medien begeisterte Kritiken erhielt.

Zum Buch:

Das Leben der Familie Kunitz sieht aus wie der amerikanische Vorstadttraum. Der Vater ist Literaturprofessor an einem College, die Mutter, eine ätherische Erscheinung, geht in der Pflege des Rosengartens auf, den Haushalt macht ein schwarzes Hausmädchen. Dann sind da die vier Kinder: Peter, der älteste, die fünfzehnjährige Sarah, Robert und Elliot, der jüngste. Das behütete Leben einer wohlhabenden Mittelschichtsfamilie in einem Vorort von Boston: Gehorsam, Bildung und Musik werden großgeschrieben, man pflegt gute Kontakte zu den Nachbarn, geht in den Country Club, feiert Partys.

Aber auch das scheint ganz normal zu sein: beide Eltern trinken zu viel, der Vater neigt zum Jähzorn, und die Mutter ist hinter einem Nebel aus Tabletten verschwunden, die sie wegen unspezifischer Rückenschmerzen einnimmt. Für ein stabiles Grundgefühl im Alltag der Kinder sorgen die wechselnden schwarzen Hausmädchen mehr als die mit sich selbst beschäftigten Eltern. Peter kämpft mit dem Vater um mehr Eigenständigkeit und flüchtet sich in sein Gitarrenspiel. Der jüngere Robert legt sich mit jedem an. Er kapselt sich ab und liest nach einem ausgeklügelten System Fantasyromane. Elliot, der Jüngste, scheint mit einer unerschütterlichen Freundlichkeit gesegnet zu sein, die er aus den Gesprächen mit seiner Sammlung von Plastiktieren bezieht. Sarah, die als Erwachsene in der Rückschau die Geschichte erzählt, ist eine genaue Beobachterin. Ihr ist das dünne Eis, auf dem die Familie sich bewegt, am deutlichsten bewusst. Sie spürt die unterschwelligen Aggressionen des Vaters, die Enttäuschung der Mutter über ihren unerfüllten Traum, eine erfolgreiche Musikerin zu werden, und die verzweifelten Rückzüge der Brüder. Am meisten leidet sie unter der jeden wirklichen Kontakt überdeckenden Sprachlosigkeit.

Als die Mutter bei einem unerklärlichen Autounfall stirbt, bricht die Familie sofort auseinander. Weiterhin gefangenen in der Unfähigkeit, über das Geschehene zu reden, sucht jeder seinen Weg, mit dem Verlust fertig zu werden. Doch in dem Zusammenbruch der falschen Welt liegt auch die Chance, sich selbst und seinen Platz im Leben zu finden. Sarahs Weg führt zur ersten Verliebtheit und der Entdeckung ihrer Sexualität. Ihre Liebe zur Folkmusik, zu den Songs von Joni Mitchell, gibt ihr den Mut, eine eigene Gesangskarriere anzusteuern.

Achtzehn Jahre lang hat die für ihre Short Stories ausgezeichnete Jessica Keener an ihrem ersten Roman gearbeitet, und das Resultat ist wirklich lesenswert. Der Autorin ist eine glaubwürdige Geschichte mit gut gezeichneten Charakteren und starken Bildern gelungen, die trotz der Tragik nicht ins Sentimentale abrutscht. „Schwimmen in der Nacht“ fügt dem bekannten Topos der „amerikanischen Vorstadthölle“ eine weitere, spannend zu lesende Facette hinzu.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt