Zum Buch:
Im Meer wird sie von der Strömung davongetragen. Dabei wollte Alex, die 22-jährige Protagonistin des Romans, doch nur schwimmen gehen, sich für einige Augenblicke treiben lassen, so wie sie es täglich tut. Doch schon kurze Zeit später spürt sie, dass sie sich immer weiter vom Strand entfernt und plötzlich außerhalb der Reichweite ist, von der aus die anderen Strandbesucherinnen ihre Hilferufe wahrnehmen könnten. Sie verfällt in Panik – aber nur kurz. Dann blendet sie die Verzweiflung aus, beruhigt sich, findet einen anderen Kurs, der parallel zum Strand verläuft. Alex entscheidet sich, mit der Strömung zu schwimmen, bis sie allmählich wieder Boden unter ihren Füßen spürt. Wäre sie tatsächlich in Lebensgefahr gewesen, denkt sie völlig erschöpft, hätte sie schon jemand gerettet. Da ist sie sich sicher.
Diese Anfangsszene ist eine Miniatur der fünf Tage, die folgen. Während dieser Zeit erfahren wir nur sehr wenig über Alex. Und wenn, dann eher indirekt als direkt. Cline gelingt es, Alex nie greifbar werden zu lassen. Alex bietet keinerlei Reibungsfläche, auch wenn sie sich sukzessive als eine Art Hochstaplerin entpuppen wird.
Erschließen können wir aber, dass sie als Callgirl in „der Stadt“ (New York City, wird wie auch andere Orte nie benannt) tätig war, nun aber nicht zurück in die Stadt kann. Sie wurde aus ihrer WG geworfen, aus Hotelbars verbannt; sie hat gestohlen; sie schuldet Dom Geld. Zum Glück hat sie Simon kennengelernt, bei dem sie nicht nur Zuflucht in den Hamptons findet, sondern der sie auch unterhält. Dort, wo die Superreichen ihre Sommerdomizile haben, lebt es sich für den Moment unbeschwert. Wenngleich die Frage bleibt, ob Alex nicht irgendwann bei einem der Abendempfängen entblößt wird als eine, die nicht dazu gehört. Die nicht reinpasst in diese Kulisse des Reichtums: überbordende Wohnhäuser, weitläufige Terrassen, privatisierte Strände, pompöse Hausfeste, Gespräche über Kunst, und Pools – natürlich Pools. Auch an diesen Aspekten entwickelt der Roman seine Gesellschaftskritik.
Bald aber beendet Simon die Beziehung und bittet Alex, das Haus zu verlassen. Sie könne ja in die Stadt zurückzukehren. Am Bahnhof abgesetzt, verfällt sie in Panik – aber nur kurz. In die Stadt? Nicht möglich. Nicht, wenn Dom, der mit seinen Textnachrichten immer wieder in der Erzählung aufblitzt, fieberhaft nach ihr sucht. Daher beschließt sie zu bleiben, um zu Simons großer Labour-Day-Party zu gehen. Es liegt nur ein Streit zwischen ihr und ihm. Mit ein wenig zeitlichem Abstand legt sich die Aufregung wieder. Da ist sie sich sicher. Nur die nächsten fünf Tage muss sie irgendwie überstehen. Von nun an begleiten wir Alex auf ihrer Odyssee. Wir sehen, wie sie umherirrt und schrittweise zum Geist in dieser abgeschotteten Gegend wird. Sie stolpert von einer Begegnung in die nächste und weiß dabei stets, die Begierden der anderen zu nutzen, um dem eigenen Begehren nachzukommen.
Was Alex sich bei alldem bewahrt, ist ihre Leidenschaft für das Schwimmen. Von Pool zu Meer zu Pool bewegt sie sich. Und es wirkt, als gäbe es selbst in den Pools eine Strömung, die der Handlung stets eine andere Richtung aufzwingt. Eine unverkennbare Parallele zu John Cheevers Kurzgeschichte The Swimmer über einen Mann, der sich an einem Sommertag vornimmt, durch eine Reihe von Swimmingpools im Vorort seiner Stadt nach Hause zu schwimmen. Zunehmend wird jedoch deutlich, dass etwas nicht stimmt: Zeit scheint vergangen zu sein, viele Pools sind leer und die Menschen, die er trifft, haben sich verändert. Zuhause angekommen, steht er schließlich vor einem leeren, vernachlässigten Haus. Traum? Wahn? Unklar. Cline schafft es großartig, eine ähnliche Idee auf die Form eines Romans zu skalieren.
Wie ausdrücklich die Parallele aber letztlich ist, und was am Ende von Alex‘ Irrfahrt steht – Hält sie durch? Wem begegnet sie auf ihrem Weg? Wird sie von Dom gefunden? Wenn ja, was passiert? Taucht sie unangekündigt zu Simons Party auf? – in dieser Spannung treiben wir gerne. Auf dem Rücken liegend.
Felix Spangenberg, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt