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Autor
Zink, Nell

Sister Europe

Untertitel
Roman. Aus dem Amerikanischen von Tobias Schnettler
Beschreibung

6 Personen, die unterschiedlicher nicht sein können, und ein Königspudel durchstreifen in einer Februarnacht Berlin, stets verfolgt von einem Kriminalpolizisten. Mit dieser Personenkonstellation gelingt es Nell Zink spielerisch, die großen Themen unserer Zeit in die Unterhaltungen ihrer Charaktere einzubinden.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Rowohlt Verlag, 2025
Format
Gebunden
Seiten
272 Seiten
ISBN/EAN
9783498007362
Preis
24,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Nell Zink, 1964 in Kalifornien geboren, wuchs im ländlichen Virginia auf. Sie studierte am College of William and Mary Philosophie und wurde in Medienwissenschaft an der Universität Tübingen promoviert. Mit ihrem 2019 erschienenen Roman Virginia war sie für den National Book Award nominiert. Sie lebt in Bad Belzig, südlich von Berlin.

Zum Buch:

6 Personen, die unterschiedlicher nicht sein können, und ein Königspudel durchstreifen in einer Februarnacht Berlin, stets verfolgt von einem Kriminalpolizisten.

Demians Freund, der Schriftsteller Masud, soll in Berlin einen von einer arabischen Adelsfamilie gestifteten Kunstpreis überreicht bekommen. Demian selbst ist Kunstkritiker, seit Jahren zu Gast bei der Preisverleihung, hat aber im Moment auch andere Sorgen: Der Zustand seiner Tochter, die Rolle der Kunst im Kapitalismus, die emotionalen Schwankungen seiner Freund:innen. Seine Tochter Nicole testet derweil, wie ihre weiblichen Reize auf Männer wirken, um sich als Frau zu fühlen. Dabei lacht sie sich den Prinzen Radi an, der als Vertreter seiner Familie den Preis überreichen soll. Eigentlich möchte Radi aber eine aufregende Nacht in Berlin verbringen. An der Preisverleihung nehmen auch Demians Freund:innen Toto und Livia teil. Toto erscheint mit einer neuen, sehr viel jüngeren Begleitung, während Livia wie immer in Begleitung ihres treuen, sehr schlauen Königspudel Fisti unterwegs ist.

Die Preisverleihung enttäuscht in vielerlei Hinsicht die Erwartungen, sodass sich die Gruppe aufmacht zu einem Spaziergang durch den Tiergarten, um Fast Food zu essen. Sie ahnen nichts davon, dass ihnen der Kripobeamte Klaus seit einiger Zeit auf den Fersen ist, weil er hinter dieser ungewöhnlichen Personenkonstellation dunkle Machenschaften vermutet. Aber der Spaziergang durch den Tiergarten hält für alle Protagonist:innen Überraschungen bereit, nach denen sie sich immer wieder neu begegnen.

Nell Zink gelingt es spielerisch, die großen Themen unserer Zeit in die Unterhaltungen ihrer Charaktere einzubinden. Die Dialoge sind witzig, schnell und gehen doch dem Zeitgeist auf den Grund: Mal wird dieser kritisch eingeordnet, dann wiederum finden die Protagonist:innen doch dessen gute Seiten. Nicole empfindet die überschwängliche Unterstützung ihrer Trans-Identität durch ihre Eltern und deren Freund*innen manchmal übertrieben. Das Vermögen, aus dem der Kunstpreis gespendet wird, stammt aus den Profiten der Ölwirtschaft von Radis Familie, aber er interessiert sich eigentlich für nachhaltiges Wirtschaften. Livias Wunsch nach einem Leben auf einem Hof in Niedersachsen, wo Wasserbüffel gezüchtet werden, entlarvt das eigentliche Bedürfnis nach einem Rückzug aus der Gesellschaft und der damit einhergehenden Verantwortung. Dabei wird kein Blatt vor den Mund genommen, sei es bei der Auseinandersetzung um die deutsche Geschichte, die Ausweglosigkeit im Angesicht des Klimawandels oder die Rolle, die Kunst im Kapitalismus spielt und spielen könnte.

Sister Europe ist ein unterhaltsames und doch tiefgründiges Buch, das die gesellschaftlichen Konflikte nicht zu lösen versucht, sondern den Protagonist:innen Raum gibt, diese Konflikte auszuloten, zu thematisieren, und am Ende auch anders zu sehen. In dieser Suchbewegung kommt ein Grundbedürfnis zu Tage, das alle Protagonist:innen teilen: einen Platz in der Welt zu finden, von lieben Menschen umgeben zu sein und sich nicht alleine am Zustand der Welt abarbeiten zu müssen. Da es Nell Zink fast beiläufig gelingt, die Leser:in sowohl zum Lachen und als auch zum Nachdenken zu bringen, macht es Freude, diesen Roman zu lesen.

Melissa Dutz, Frankfurt a. M.