Zum Buch:
Der Debütroman Im Herzen der Katze der deutsch-iranischen Autorin Jina Khayyer ist vieles zugleich: autofiktionaler Familienroman, politisches Zeitdokument und poetische Reise durch ein Land, dessen Gestalt auf der Landkarte plötzlich zu einer Katze wird. Diese überraschende Metapher, die der Roman gleich zu Beginn etabliert, ist mehr als nur ein geographisches Bild – sie ist Programm. Denn wie die Katze mit ihren vielen Leben, so erweist sich auch Iran als Land, das immer wieder überlebt: Monarchie, Revolution, Diktatur – und vielleicht eines Tages die Herrschaft der Mullahs.
Ausgangspunkt ist der Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022, deren Name sich mit dem der Erzählerin spiegelt. Khayyers Protagonistin sitzt in Deutschland, verfolgt gebannt die Protestvideos aus Teheran und fürchtet dabei um ihre Schwester Roya und ihre Nichte. Von dort führt der Roman zurück ins Jahr 2000, als die Erzählerin nach Iran reist. Sie will das Land der Eltern erkunden, ihre Schwester wiedertreffen und begibt sich schließlich auf eine mehrtägige Reise „im Herzen der Katze“.
Diese Reise, die als Roadnovel angelegt ist, bietet den erzählerischen Rahmen, um historische, politische und kulturelle Facetten des Iran zu entfalten. Die Stationen – von Teheran bis Persepolis – werden zu Erinnerungsorten, an denen sich Fragen nach Freiheit, Tradition und Selbstbestimmung stellen. Besonders eindrücklich sind die Begegnungen mit den Frauen: Tanten, Freundinnen, Aktivistinnen. Khayyer rückt sie ins Zentrum, gerade weil ihre Stimmen im westlichen Diskurs oft zu Klischees verkommen. Was sie schildert, widerspricht diesen Klischees: Frauen, die sich Bildung erkämpfen, ihre Rechte einfordern, ihre Körper verteidigen – nicht aus Rückständigkeit heraus, sondern aus dem Verlust von Freiheiten, die früher selbstverständlich waren.
Zu den stärksten Szenen gehört die Figur Iman, zunächst Fahrer und Fremdenführer, die sich bald als Frau entpuppt, die sich durch eine männliche Maskerade Bewegungsfreiheit verschafft. Hier verdichten sich Fragen nach Geschlecht, Sichtbarkeit und Überleben im Alltag der islamischen Republik. Auch zarte Liebesandeutungen durchziehen die Begegnung, ohne je offen ausgesprochen werden zu können – nicht, weil es an Gefühlen fehlt, sondern weil der Sprache selbst das Vokabular verweigert bleibt.
Khayyers Roman ist dabei voll von kulturellen Bezügen. Shakespeare, Austen, Atwood, Brecht – sie alle tauchen als Referenzen auf und bezeugen, wie sehr iranische Intellektuelle und Aktivistinnen mit einer globalen Kultur verknüpft sind. Dass die Mullahs ausgerechnet Brecht lieben, bleibt ein ironisches Rätsel, das Khayyer klug unaufgelöst lässt. Ebenso wird die poetische Dimension des Persischen immer wieder hervorgehoben.
Das große Thema des Romans ist jedoch die Erinnerung an ein Land im Widerstand. Im Herzen der Katze zeigt Iran als widersprüchlich, poetisch, brutal und voller Leben. Khayyer gelingt es, die Schönheit des Landes und die Gewalt des Regimes nebeneinanderzustellen, ohne ins Klischee zu verfallen. Gerade die Gegenwart der Proteste von 2022, die wie ein Rahmen um die Rückblenden gelegt wird, macht den Text hochaktuell. Denn Khayyer zeigt: Die Frauen kämpfen nicht um „neue“ Freiheiten, sondern um Rechte, die ihren Müttern und Großmüttern bereits zugestanden – und die ihnen geraubt wurden.
Literarisch überzeugt das Buch durch seine Vielschichtigkeit: autofiktionale Erinnerung, historische Exkurse, persönliche Begegnungen. Die Erzählerin stellt immer wieder Fragen nach Zugehörigkeit, nach Sprache als Heimat, nach der Verantwortung der Diaspora. Die Figur Jina ist dabei immer auch doppelt lesbar: als literarische Heldin und als Spiegel der Autorin selbst.
Im Herzen der Katze ist kein leichtes Buch, kein Werk für diejenigen, die in einem Roman Entspannung suchen. Es ist ein politisch dringliches, poetisch aufgeladenes und literarisch ambitioniertes Debüt, das seine Leser nicht schont. Gerade darin liegt seine Stärke: Khayyer verschafft den Stimmen iranischer Frauen Gehör – und macht zugleich deutlich, dass die „Katze Iran“ noch viele Leben haben wird.
Sara Mundt, Der andere Buchladen, Köln