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Die Firma Dr. Oetker gehört zu Bielefeld wie Krupp zu Essen. Rudolf-August Oetker, der Enkel des Firmengründers August Oetker, finanzierte der Stadt Bielefeld 1959 eine Kunsthalle und taufte sie in Erinnerung an seinen Stiefvater „Richard-Kaselowsky-Haus“. Diese Namenwahl provozierte 1968 einen Skandal. Erst 1998 wurde der Name in „Kunsthalle Bielefeld“ geändert. Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching erzählen, was das Bielefelder Backpulverimperium mit diesem Namensstreit zu tun hat. Es ist eine Geschichte von beklemmender Normalität.
Rudolf Oetker, der Erbe und Sohn des Firmengründers, starb 1916 im Ersten Weltkrieg. Er hinterließ eine Frau und zwei kleine Kinder, von denen eines den Vornamen von Vater und Großvater bekam: Rudolf-August. Die Witwe heiratete Richard Kaselowsky, der 1918 dann Chef der Firma Dr. Oetker wurde. Er prägte und leitete die Firma von 1918 bis zu seinem Tod quasi-treuhänderisch für den Erben Rudolf-August Oetker, den er ins Geschäft einführte.
Aber nicht wegen dieses familiären Hintergrunds ist die Oetker-Geschichte paradigmatisch, sondern weil sie – wie die Autoren schreiben – “die wechselseitige Beziehungsgeschichte von Dr. Oetker und dem Nationalsozialismus“ enthält.
Kaselowsky steuerte die international agierende Bielefelder Firma mit Geschick durch die Zeit der Inflation. Er modernisierte sie und leitete sie autokratisch als „Fabrikherr“. Nach 1933 wurde aus dem „Fabrikherrn“ ein „Betriebsführer“ an der Spitze einer „Betriebsgemeinschaft“. Am 1. Mai trat Kaselowsky der NSDAP bei, wurde aber weder zum Rassenantisemiten noch zum Nationalsozialisten, sondern blieb, was er zeitlebens war: nicht extremistisch, sondern bürgerlich im Sinne von konservativ und deutsch-national. 15 seiner 22 Prokuristen waren NSDAP-Mitglieder, die ihre Geschäftsbriefe nun „mit deutschem Gruß“ schlossen. Kaselowsky verstand sich selbst als „Nationalsozialist des Herzens“, und dazu wollte er auch seine Mitarbeiter erziehen. 1937 wurde die Firma Dr. Oetker zum „NS-Musterbetrieb“ gekürt und Kaselowsky zum „Ehrengast des Führers“ auf dem Parteitag. Er handelte nach der Devise: „Was gut für Oetker war, muss für das nationalsozialistische Gemeinwesen nicht schlecht sein.“
Er beteiligte sich an „Arisierungen“, am liebsten durch den Erwerb von Aktien, da er und seine Firma dabei anonym blieben. Mit Zwangsarbeit hatte die Firma nur wenig zu tun, denn sie beschäftigte fast nur Frauen und Mädchen und litt dadurch kaum unter Arbeitskräftemangel. Das Regime belohnte Kaselowskys Gefolgschaft mit der Aufnahme in Himmlers „Freundeskreis Reichsführer SS“. In diesem Rahmen knüpfte er Kontakte zu Exponenten des Regimes, besuchte Konzentrationslager und folgte Vorträgen hochrangiger SS-Chargen, die die Unternehmer auf die Ziele des Regimes einschworen – also „Lebensraum im Osten“, „Kampf gegen den Bolschewismus und die Juden“. Noch im Mai 1944 berichtete er über ein Treffen des „Freundeskreises“: „Der schöne Abend, den wir im Kasinogarten der Reichsbank wie in einer Oase des Friedens, inmitten einer in Trümmer gegangenen Welt verleben konnten, wird mir eine dauernde Erinnerung sein.“
Den Verbrechen gegenüber, die vor seiner Haustür passierten – ein Lager für Zwangsarbeiter lag in Sichtweite seiner Villa –, blieb Kaselowsky indifferent. „Das Politische diente nicht nur dem Firmeninteresse, sondern gründete in eigenen Vorstellungen. Für beides war der Erfolg als Unternehmer das Fundament“ – so die Autoren.
Nach Kaselowskys Tod 1944 übernahm August Oetker, der Enkel des Firmengründers, den Betrieb. Er wurde als „unbelastet“ entnazifiziert. Als ehemaliges NSDAP- und SS-Mitglied pflegte er über 1945 hinaus Kontakte nach rechts, die aber seiner Karriere nicht schadeten. 2007 starb er mit 90 Jahren.
Die Studie, die auf der Auswertung des zu großen Teilen erhaltenen Oetker-Firmenarchivs und anderer Archivbestände beruht, verdient Respekt und Beachtung, obwohl sie natürlich viel zu spät kommt – ein Defizit, das man nicht den Autoren zurechnen kann.
Rudolf Walther, Frankfurt am main