Zum Buch:
Der Schauplatz dieses außergewöhnlich dichten Romans heißt Dead River, ein in Auflösung begriffener Flecken im nördlichen Vermont, wo man sich gerne schon mal am Vormittag einen Schluck genehmigt und anschließend bierseelig an die guten alten Zeiten anknüpft.
Lilian ist vor kurzem erst hierher gezogen. Gemeinsam mit Annabelle, ihrer Katze. Sie kennt eigentlich niemanden im Ort, nicht wirklich. Wenn überhaupt, dann nur vom Sehen. Aber alle kennen Lilian, die hübsche junge Frau mit den langen Haaren. Gerade hat sie die Nacht in ihrem zerbeulten Escort auf dem Parkplatz des Sheriffbüros verbracht. Ein Küchenmesser liegt griffbereit auf dem Beifahrersitz. Auf der Rückbank, in eine Decke gehüllt, liegt Annabelle mit durchgetrennter Kehle. Sie weiß, wer das getan hat: Blackway. Ein für seine Gewalttätigkeit bekannter Außenseiter, der sie schon eine ganze Weile bedrängt. Da Lilian keine Beweise oder Zeugen für die Tat angeben kann, sind dem Sheriff die Hände gebunden, doch er rät ihr, es einmal im alten Sägewerk zu versuchen, da würden vormittags immer ein paar Männer herumhängen, die außer Bier trinken und langatmige Reden schwingen nicht wirklich viel zu tun hätten.
Und bevor sie sich versieht, sitzt sie in einem Pick-up zwischen zwei Männern, die sie eben nur vom Sehen her kennt und die unterschiedlicher nicht sein könnten: der eine ein tattriger Greis, der vorgibt, immer noch jede Menge Tricks auf Lager zu haben, der andere eine Hüne von über zwei Metern, der bereits auf den ersten Blick über deutlich mehr Muskeln als Grips zu verfügen scheint. Gemeinsam macht sich das seltsame Trio auf den Weg in die gefürchteten Lost Towns, ein nahezu undurchdringliches, riesiges Waldgebiet, in dem sie Blackway vermuten.
Auf gerade mal 170 Seiten ist Castle Freeman ein außergewöhnliches Stück hochkarätiger Literatur gelungen, das gerade durch das Wegfallen jeglicher Schnörkel, besonders aber durch die knappen, stellenweise extrem schwarzhumorigen Dialoge besticht. Hier findet sich nicht ein einziges Wort zu viel, und man darf hoffen, dass bald schon ein weiterer Titel von diesem Meister des Minimalismus in deutscher Übersetzung erscheinen wird.
Axel Vits, Derandere Buchladen, Köln