Zur Autorin/Zum Autor:
Rainald Goetz, geboren 1954 in München, studierte Medizin und Geschichte, lebt in Berlin.
Holtrop, Aiderbichel, Zischler, Dirlmeier, Meyerhill, Wenningrode – die Liste der klangvollen Namen, die Rainald Goetz in seinem im Managermilieu angesiedelten Roman Johann Holtrop aufbietet, ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Was sich nach individueller Vielfalt anhört, wird jedoch in psychologischer Hinsicht als trostloser Einheitsbrei entlarvt. Der Umgang, den die zahlreichen Figuren miteinander pflegen, ist durch die Bank „Arbeit am Hass, Vergesellschaftung der Niedertracht, Entsorgung der gegenseitigen Verachtung, die jeder für jeden in sich hatte, direkt in den anderen hinein“. Die Erzählstimme, auf deren Konto diese präzise Charakterisierung geht, steht dem freilich in nichts nach. Mit Sprachwitz und Wortgewalt beleidigt, verunglimpft und verlacht sie das Romanpersonal, was das Zeug hält. Sie ist gewissermaßen die Inkarnation einer milieubedingten Psychologik, die Selbstüberschätzung und Geltungssucht kultiviert.
(ausführliche Besprechung unten)
Holtrop, Aiderbichel, Zischler, Dirlmeier, Meyerhill, Wenningrode – die Liste der klangvollen Namen, die Rainald Goetz in seinem im Managermilieu angesiedelten Roman Johann Holtrop aufbietet, ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Was sich nach individueller Vielfalt anhört, wird jedoch in psychologischer Hinsicht als trostloser Einheitsbrei entlarvt. Der Umgang, den die zahlreichen Figuren miteinander pflegen, ist durch die Bank „Arbeit am Hass, Vergesellschaftung der Niedertracht, Entsorgung der gegenseitigen Verachtung, die jeder für jeden in sich hatte, direkt in den anderen hinein“. Die Erzählstimme, auf deren Konto diese präzise Charakterisierung geht, steht dem freilich in nichts nach. Mit Sprachwitz und Wortgewalt beleidigt, verunglimpft und verlacht sie das Romanpersonal, was das Zeug hält. Sie ist gewissermaßen die Inkarnation einer milieubedingten Psychologik, die Selbstüberschätzung und Geltungssucht kultiviert.
Ins Fadenkreuz gerät vor allem der titelgebende Johann Holtrop, der eine lehrbuchreife Manager-Karriere hingelegt hat. Zu Beginn der Handlung im Jahr 2001 ist er „Chief Executive Officer“ eines global operierenden Konzerns, der nichtsdestoweniger seiner Tradition verbunden bleibt: heute Schönhausen, morgen New York oder Hong Kong. Der Tag beginnt mit Leibesertüchtigung, bevor Meetings abgehalten, neue Investitionen beschlossen oder die Intrigen gegen innerbetriebliche Konkurrenten und lästig gewordene Mitarbeiter gesponnen werden. Zwischendrin ein, zwei Pillen, um fit zu bleiben. Über einen Zeitraum von zehn Jahren schildert der Roman so anhand eines Karriere(ab)weges die Arbeitsabläufe in den Führungsetagen der Wirtschaft, ohne jedoch den Anspruch zu erheben, ökonomische Zusammenhänge oder das abstrakte Gewese des Finanzkapitalismus fassbar machen zu wollen. Er interessiert sich vielmehr für die Zurichtung der Menschen (nicht von ungefähr ist „Richtung“ ein Schlüsselwort des Textes), die ins System der Wirtschaft eingespannt sind. Als ein – um es im zynischen Stil der Erzählstimme zu sagen – „besonders geglücktes Exemplar Mensch“ steht Holtrop im Fokus, jedoch geht es nicht so sehr um eine einzelne Person, sondern um einen spezifischen Habitus.
Oftmals erscheint es dabei so, als ob die Erzählstimme mit ihrer Bewertung der geschilderten Handlungen nur das ausspricht, was den LeserInnen ohnehin schon dämmert. Das illustriert der Auftritt Zischlers, eines Bankers, der zu spät zu einer Sitzung kommt: „Bei jedem Schritt schleuderte er seine Cowboystiefel vor sich her, er grinste, er ging langsam, er schaute auf die Uhr und grinste noch mehr.“ Wer denkt sich angesichts dessen nicht: „Er war hier sozusagen der absolute Superdepp“? Auf diese Weise bedient die Erzählstimme zum einen Beißreflexe gegen „die da oben“, denen nachzugeben manchmal erleichternd, jedoch stets eine allzu leichte Übung ist.
Dieser Schulterschluss mit den LeserInnen hat nämlich andererseits zur Konsequenz, dass diese sich unversehens in derselben Rolle wie die verspotteten Romanfiguren wiederfinden. Denn in dem Maße, in dem man sich mit einer Erzählstimme identifiziert, die ihrerseits der Psychologik der Romanfiguren Ausdruck verleiht, wird man selbst Teil dieses Ensembles. Der Gewinn dieser Entdifferenzierung besteht in einer Komplexitätssteigerung, die grobe Schemata, wie sie der Occupy-Slogan von den 99% impliziert, auf den Prüfstand stellt. Und deshalb lässt der Text auch die „kleinen Leute“ sich nicht aus der Affäre ziehen: „die unschöne Gier der Telekomaktienkäufer war in ein noch unschöneres Beleidigtsein übergegangen, für eigene Blödheit vom Leben auch noch bestraft zu werden, das fanden diese Leute jetzt plötzlich allesamt empörend“.
Für diesen unbedingt lesenswerten, politisch hochintelligenten Roman sind daher zwei Hände erforderlich: die eine, um sich auf den Schenkel zu klopfen, die andere, um sich an die eigene Nase zu fassen. Begreift man Johann Holtrop so, kann man einem Bonmot, das einer der Randfiguren zum Besten gibt, nur beipflichten: „Verstehen heißt Erschrecken“ – vor allem vor sich selbst.
Malte Kleinjung, Frankfurt am Main