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Autor
Hayes, Nick

Die Ballade von Seemann und Albatros

Untertitel
Graphic Novel. Aus dem Englischen von Henning Ahrens
Beschreibung

Dies ist ein sehr schönes Buch. Ein Kunstwerk. Eine gezeichnete Adaption von Coleridges Ballade „The Rime of the Ancient Mariner“, die sich, mit wenigen Worten auskommend, umgehend in die Herzen der „Leser“ einnistet. Es ist die Intensität der Bilder, die lange nach dem Zuklappen in Erinnerung bleiben, und es wird auch nicht lange dauern, bis man dieses schöne Buch ein weiteres Mal in die Hand nimmt und aufschlägt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Mare Verlag, 2012
Format
Gebunden
Seiten
352 Seiten
ISBN/EAN
978-3-86648-157-2
Preis
28,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Nick Hayes, 1982 geboren und aufgewachsen in West Berkshire, studierte Literaturwissenschaft an der Cambridge University. Er ist Autor und Illustrator, zeichnet politische Cartoons für den Guardian und war Gründungsmitglied der Zeitschrift Meat Magazine. Er wurde mit zwei Guardian Media-Preisen ausgezeichnet. Die Ballade von Seemann und Albatros ist sein erstes Buch. Nick Hayes lebt in London.

Zum Buch:

»Einen alten Seemann gibt‘s,
der hält / Von dreien einen an.
›Was will dein glühend Aug‘
Von mir, / Graubärt`ger alter Mann?‹«

Das ellenlange Gedicht „The Rime of the Ancient Mariner“, das der englische Dichter Samuel Taylor Coleridge 1798 in einer Sammlung lyrischer Balladen veröffentlichte, wird heute generell als Gründungstext der englischen Romantik verstanden, und viele Zitate daraus sind als Sprichwörter in den englischen Sprachgebrauch eingeflossen. Erzählt wird die Geschichte eines alten Seemanns, der von einer langen, gefahrvollen Seereise auf einem Segelschiff zurückgekehrt ist und einem ihm zufällig über den Weg laufenden jungen Mann von seinen Erlebnissen berichtet. Es geht dabei um Schuld, denn er hat mit seiner Armbrust ohne Grund einen Albatros getötet, den Glücksboten der Meere, und es geht um Vergebung, denn der Seemann hat seinen Fehler erkannt und preist zum Schluss die Wunder der Natur. Auch wenn man kein Lyrikfan ist: Ein schönes Gedicht. Traurig zwar. Aber mit gutem Ende.
Wie man es nimmt.

Jetzt hat der britische Autor und Illustrator Nick Hayes mit seiner Adaption, die im Original treffender „The Rime of the Modern Mariner“ heißt, ein wahres Kunstwerk vollbracht, denn Begriffe wie Graphic Novel oder gar Comic kommen um Längen nicht an das heran, was er da zwischen zwei Buchdeckel gezaubert hat. In seiner Version lässt er den Seemann seine Geschichte einem gestressten Büroangestellten oder Broker erzählen, der auf einer Parkbank sein Pausenbrot einnimmt, ihn zunächst als Penner beschimpft und sich dann doch noch die ganze Geschichte anhört.

Eigentlich, so beginnt der Seemann seine Geschichte, wollte er sich bloß illegal Walbein besorgen, um Dominosteine daraus herzustellen. Eine Passion von ihm. Das einzige Schiff, das sich bereit erklärte, ihn mitzunehmen, war dann ein Stahlkutter, der in weit abgelegenen Gewässern hoch im Norden auf Krebsfang ging. Es gab für ihn auf der langen Reise zunächst nichts weiter zu tun, als kettenrauchend an der Reling zu stehen und über das ewiggleiche Meer zu schauen, und dann, eines Tages, mehr aus Langeweile oder Gedankenlosigkeit als aus böser Absicht, schoss er mit seinem Präzisionsgewehr auf einen schönen, einsam unter dem bedeckten Himmel kreuzenden Albatros, der daraufhin tot auf das Vordeck knallte.

»Er wirkte älter als die Welt.«

Die Fischer erkannten darin ein böses Omen. Sie banden ihm, dem Seemann, als Strafe für seine Sünde den toten Albatros mit einer Kordel um den Hals und mieden ihn sodann wie einen Jonas. Und schon sahen sie sich in ihrer Angst vor kommendem Übel bestätigt, als der Motor ausfiel, worauf das Schiff, Wind und Wellen völlig ausgesetzt, steuerlos umhertrieb. Nur kurze Zeit später starrten sie vor Furcht wie gebannt auf ein Elmsfeuer, das wie etwas Lebendiges die Mastspitze hinauf kroch, ein weiteres schlechtes Zeichen. Da geriet das Schiff auch schon in einen Mahlstrom, der gewaltige Massen Plastikmülls mit sich führte und in dem Groß- und Kleintiere jämmerlich verendeten. Ein schrecklicher Anblick.

»Eine Öde trüber Fluten, ein Mahlstrom tot und leer, der Himmel grau und wie erstickt, kein Vogel rief hier mehr.«

Nachdem Schiff und Mannschaft rettungslos verloren waren, so berichtet der Seemann weiter, begann für ihn, den einzigen Überlebenden, eine eher traumähnliche Odyssee, in deren Verlauf er die ganze Bandbreite der von Menschenhand verursachten Zerstörungen mit eigenen Augen sah. Und jämmerlich weinte. Aber er erkannte auch die Größe und Anmut der lebendigen Natur, und sei es in Form eines Einzellers. Und erschauderte:

»Ich spürte, dass dieses Wesen auch zu mir gehörte, als Vorform des Menschen, der es durch seinen Dreck zerstörte.«

Die Geschichte geht dann natürlich noch weiter, bis eben zu dem Punkt, an dem der geläuterte Seemann auf der Bank neben dem Büroangestellten oder Broker sitzt und ihn vollquatscht; aber schauen Sie sich das besser selbst an, man muss einfach die aufwendigen und dennoch in wenigen Farben gehaltenen, großartigen Bilder dazu sehen, die Nick Hayes sich ausgedacht und zu Papier gebracht hat. Das ist ein sehr, sehr schönes Buch. Allein schon der Buchdeckel lädt dazu ein, es aufzuschlagen.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln