Zur Autorin/Zum Autor:
Mit Beiträgen von Christiane Kohl und Maren Westermann, der juristischen Einordnung von Gabriele Heinecke sowie einer Untersuchung des Historikers Carlo Gentile.
Der Mensch soll und kann nicht vergessen. Die Erinnerungen leben, müssen leben. Müssen überleben. Das Gedächtnis währt gerade im Schmerz immerfort, und das Gedächtnis kann sich nur mit sich selbst versöhnen. Auch das macht den Menschen aus. Am 12. August 1944 wurde in einem Dorf in den unzugänglichen Hügeln der Toskana eine unvorstellbare Gräueltat verübt, die nur ein Beispiel dafür ist, was Menschen Menschen anzutun bereit sind. Dies ist die Geschichte von Sant Anna di Stazzema.
(ausführliche Besprechung unten)
Es gab damals noch keine Straße, die zu dem abgelegenen Dreihundert-Seelen-Dorf hinaufführte. Also kamen sie früh am Morgen aus den Bergen, stiegen die schroffen Lasttierpfade hinab und brachten den Tod mit sich. Die aus dem Tal nur schwer zugängliche Hirtensiedlung Sant Anna di Stazzema mit ihren in die Hügel wie hineingeworfenen Häusern und Weilern lag unter einem strahlend blauen Himmel, als am 12. August 1944 vier Kompanien einer SS-Panzergrenadier-Division das Dorf von allen Seiten umzingelten, die Einwohner zusammentrieben und töteten. Man vermutete, dass sich Partisaneneinheiten hier und in den nahen Wäldern zurückgezogen haben könnten, aber in Sant Anna di Stazzema gab es keine Partisanen, nur Alte, Frauen und Kinder sowie einige Hundert Flüchtlinge aus den tiefer gelegenen Nachbardörfern und der Küstenregion, die in den Häusern und Ställen Unterkunft gefunden hatten. Da sie befürchten mussten, von den Deutschen zur Zwangsarbeit verschleppt zu werden, hatten die Männer, allesamt einfache Bauern, das Dorf bereits verlassen. Das Töten dauerte weniger als drei Stunden. Die Soldaten schichteten die Toten zu einem Haufen auf, brachen aus der kleinen Kirche Holzbänke heraus, warfen sie auf den Leichenberg, gossen Benzin darüber, zündeten ihn an, warteten eine Zeit und verschwanden dann wieder. Fünfhundertsechzig völlig unschuldige Menschen fanden so den Tod.
Nur wenige konnten sich retten. Darunter ein kleiner Junge von sechs Jahren, Enio Mancini, der wie durch ein Wunder überlebt hatte.
Dass wir heute den genauen Tathergang kennen, ist in erster Linie Enio Mancini zu verdanken, der über Jahrzehnte hinweg Berichte und Erinnerungsstücke gesammelt und sich dafür eingesetzt hat, im ehemaligen Schulgebäude von Sant Anna di Stazzema das „Historische Museum des Widerstands“ zu eröffnen.
Wie es im Klappentext heißt, war er einer der Ersten, die sich ausdrücklich für Versöhnung einsetzten, und so kann und muss man seine Arbeit, die ihm zur Lebensaufgabe geworden ist, als Widerstand gegen das Vergessen ansehen.
Dieses Buch trägt dazu bei. Wir tragen dazu bei, indem wir es lesen.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln