Zum Buch:
Aja, Seri und später Karl finden sich, wie Kinder eben Freunde finden, mit fragloser Selbstverständlichkeit. In Kirchblüt, einer verschlafenen Kleinstadt irgendwo am Neckar, irgendwann in den sechziger Jahren, wachsen sie auf, fast wie Geschwister, obwohl die jeweiligen Eltern nicht unterschiedlicher sein könnten. Ajas Mutter Evi ist die Außenseiterin im Ort; sie lebt mit ihrer Tochter in einem heruntergekommenen Gartenhaus am Stadtrand, kann nicht lesen und schreiben, dafür ausgezeichnet Radschlagen. Einmal im Jahr kommt Ajas Vater Zigi aus Amerika, bringt das Haus notdürftig in Ordnung und bezaubert die Kinder mit seiner artistischen Kunst. Seris Mutter dagegen ist Geschäftsfrau, Karl kommt aus wohlhabendem Elternhaus. In Evis verwunschenem Garten aber zählen solche Unterschiede nicht; hier schafft sie für Kinder wie Erwachsene ein kleines Paradies, das im Leben wie in der Literatur einzigartig sein dürfte.
Ein Idyll also, aber weit entfernt von nostalgischem Kitsch. Denn Kirchblüt ist keine heile Welt. Trotz Klatschmohn-Sommern und Winterwäldern hat der Alltag auch hier seine Schrecken: Unfälle, Katastrophen wie das spurlose Verschwinden von Karls kleinem Bruder, Vorurteile, Gerüchte und üble Nachrede, Beamte, die Evi das Leben schwer machen usw. All das ist durchaus präsent, wird aber in der Perspektive der Kinder schlicht zu einem Teil des Lebens, der genauso fraglos akzeptiert wird wie das Schwimmbad und die Hängematte im Garten.
Zsuzsa Bánk hat schon in ihrem großartigen Debüt-Roman „Der Schwimmer“ bewiesen, wie genau sie sich in die Perspektive von Kindern versetzen kann. In „Die hellen Tage“ treibt sie die endlos gedehnte Zeit, die Gegenwärtigkeit und das Staunen, das Kindheit prägt, fast bis an die Grenze der Darstellbarkeit und zieht die Leser wie an unmerklich geknüpften Fäden mit sicherer Hand unerbittlich in diese Kindheit hinein. Wer sich auf dieses Buch einlässt, dem wird nichts geschenkt: er muss sich beteiligen, die Auslassungen ausfüllen, die Einzelheiten zusammensetzen. Dann wird der Blick frei auf die Geheimnisse und Rätsel, die jede Lebensgeschichte durchdringen und Freundschaften und Beziehungen vergiften können, solange sie nicht erkannt und ausgesprochen werden.
Es wäre noch viel zu sagen über die Meisterschaft, mit der Bánk ihre Geschichte aufgebaut hat, die vielen literarischen Kunstgriffe, die Sprache … Aber besser ist es, eins der wohl ungewöhnlichsten und schönsten Bücher dieses Jahres einfach selbst zu lesen.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main