Zum Buch:
Florent-Claude Labrouste ist Mitte Vierzig, er ist ledig, Kettenraucher und weit über jenes Gefühlsstadium hinaus, das man als latent depressiv bezeichnen könnte, denn Florent-Claude hasst sein Leben. Er hasst seinen Beruf im Landschaftsministerium, denn er ist angewidert von der Nichtigkeit seiner Arbeit; er hasst seine japanische Freundin Yuzu, und das nicht allein deshalb, weil er herausgefunden hat, dass sie heimlich auf Gruppensex steht und es sich darüberhinaus mindestens ein Mal vor laufender Kamera von einem Dobermann hat besorgen lassen. Er wirft sie nur deshalb nicht zum Fenster raus, weil er seine Freiheit dann doch noch soweit liebt, dass er die Möglichkeit zu schätzen weiß, im nächsten Carrefour zwischen 14 verschiedenen Hummussorten auswählen zu können. Florent-Claude, der SUV-Fahrer, hasst Paris, die Stadt, in der er lebt und in der es von fahrradfahrenden und mülltrennenden Gutmenschen nur so wimmelt („Ich hatte nicht viel Gutes im Leben getan, aber zumindest würde ich meinen Teil zu der Vernichtung des Planeten beigetragen haben“); er hasst Hotels mit Rauchmeldern, weshalb er sie abschraubt oder die Dienstmädchen dazu besticht; und nicht zuletzt hasst Florent-Claude seinen Vornamen, der für ihn wie der einer Schwuchtel klingt.
Um gegen all das anzukämpfen schluckt er ein Antidepressivum, das ihn zumindest davon abhält, sich zu erschießen, das als Nebenwirkung jedoch seine Libido hemmt. Er beschließt schließlich, einen Schlussstrich zu ziehen, indem er Job, Wohnung und Bankkonto kündigt. Er verlässt Yuzu, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, und zieht in ein Raucher-Hotel in einen Vorort von Paris, wo er sich in Erinnerungen an seine einzige wahre große Liebe wälzen kann, Camille, die ihn wegen eines Seitensprungs verlassen hat. Denn er hat längst herausgefunden, dass er ein Weichei ist und seine harte Schale nur Schein.
Irgendwann entwickelt er einen völlig illusorischen und im großen Maße dämlichen Plan, um seine Camille wieder zurückzugewinnen, denn obwohl er vor den Ruinen des eigenen Lebens steht, erkennt er, das wahre Liebe möglich ist, auch wenn Mann und Frau darunter völlig unterschiedliche Dinge verstehen mögen.
Michel Houellebecq hat in seinem neuen Roman nur scheinbar auf altbewährte Mittel gesetzt, denn wenn er seinen Protagonisten zunächst auch gehörig nach allen Seiten austeilen lässt, so nimmt der sich doch tief im Kern wesentlich weniger ernst, als man es auf den ersten Blick annehmen könnte: Er steckt zurück. Er reflektiert. Er gibt sogar zu, dass er Mist gebaut hat und eigentlich ein Schlappschwanz ist. Abgesehen von den in Houellebecqscher Manier recht drastischen pornografischen Szenen steckt in den teilweise ellenlangen Sätzen ohne Punkt und Komma doch nicht nur viel Klarheit und Nachdenklichkeit, sondern ebenso eine gute Portion an Ehrlichkeit und gar Verletzlichkeit, und das ist, zumindest für das bisherige Personal des Goncourt- Preisträgers, nicht wenig. Abgesehen davon lässt sich nicht sagen, Houellebecq hätte keinen Humor, denn das hat er ganz gewiss: schwarz und bitter.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln