Zum Buch:
Heipe Weiss, Frankfurt am Main
Wieso, so frage ich mich, habe ich bis zum letzten Drittel des Heidegger-Verhohnepiepelungs-Buches “Permaforst” von Joachim Klein gebraucht, bis mir das Wortspiel bewußt geworden ist. Im Nachhinein bin ich mir nicht einmal mehr sicher, ob mir dieses überfällige Lichtlein über der von mir standfest mit Füßen getretenen Leitung schon auf den Seiten 165/166 aufgegangen ist, wo Klein sich besorgte Gedanken zu machen beginnt über die “Hypertrophie des Nadelgehölz”. Eine mit Heideggers Existentialontologischer Holzwegphilosophie eng verbandelte Nadelgehölzanomalie, die Joachim Klein bei seiner in “Permaforst” nacherzählten Schwarzwaldwanderung auf Heideggers Spuren in Form exponentiell wuchernder Fichtenbestände zum Problem wird. Ein dichter Fichtenforst, wie man ihn allenfalls in Permafrostgebieten erwarten möchte, nicht jedoch auf den lichten Höhen deutscher Mittelgebirge, und wenn der Wind darüber noch so kalt wehen sollte.
Schon an dieser Stelle hätte ich darüber stolpern müssen, und nicht erst auf den Seiten 183/184, wo Klein selbst mit stolzgeschwellter Brust vor französischen ‘eidegger-Amateuren mit seinem “Permaforst” als logischem Gegenbegriff zum den Franzosen als “typisch Deutsch” geltenden “le Valdstärbehn” als Neuworterfinder wichtig machen möchte. “Grandios, großartig, überwältigend! Ich stand vor meinem eigenen Einfall stramm, die Franzosen nicht.”
Gut, der Begriff “Permafrost”, wie ich den Titel auf der Vorderseite des – Ein Heideggerroman – untertitelten Buches von Joachim Klein konsequent misslesen habe, faßt ausgesprochen treffend meine Gefühle zusammen, die ich seit langem mit dem Denken und Schreiben jenes Waldschratphilosophen mit der Zipfelmütze verbinde, dessen Augen auf dem Titelbild hinter schwarz den Horizont verfinsternden Fichtenbaumschattenrissen drohend hervorstarren.
In gewisser Weise führte kein Weg an ihm vorbei, jedenfalls für an Philosophie interessierte Zeit- und Leidensgenossen unserer in der Adenauerära aufgewachsenen Nachkriegsgeneration, ob wir das nun gut fanden oder nicht. Den gesamten Fundus von Heideggers Sprech und Blech von der Geworfenheit quer durch Sein und Zeit hatte ich schon in Günther Grass’ frühen “Hundejahren” wenn auch in persiflierter Form kennen und imitieren gelernt. Die französischen Modexistentialisten Camus und Sartre, die wir in den jungen Sechziger Jahren revolt-trunken verschlangen, beriefen sich, so hieß es, ebenfalls auf den Dunklen vom Berge am Titisee. Sogar der Erfinder des “Alltagslebens” Wolfgang Lefebvre, der kritische Kritiker der Mai 68er-Soziologie an der Pariser Sorbonne-Aufrührer-Fakultät in Nanterre schwärmte vom Schwarzwälder Existentialzausel als “Denkerdichter” oder “Dichterdenker” auf den Spuren Hölderlins. Überhaupt wiesen dermaßen viele Spuren in den sechziger/siebziger Jahren auf die Sprachverhuzzelungsphilosophie dieses urdeutschen Lederhosen- und Gamsbartdenkers als Reichshauptdenkverwesungsobersturmbannführer der “Eigentlichkeit”, daß wohl kaum ein Philosophiestudent seinerzeit darum herum kam, sich mit diesem dumpfkrachledernen Schuhplattlerdenkfürsten und seinem Eigentlichkeits-Schrifttum zumindest eine gewisse Sein und Zeit lang intensiver zu beschäftigen.
An jenen Juli oder war es ein Augusttag an der Uni des Saarlandes kann ich mich noch ziemlich genau erinnern, als es draußen gut vierzig Grad im Schatten heiß war, und ich in der wegen der Klimaanlage etwas kühleren Bibliothek des dortigen philosophischen Seminars in den frühen Nachmittagstunden mir die kleine Schrift über die “Holzwege” von Heidegger vornahm. Ganz ohne Vorurteile, einfach nur interessiert. Nach etwa einer halben Stunde Lektüre beschloss ich spontan, nein, nicht etwa “Polütüker zu wörden”, sondern hinfort nie mehr mich von diesem reaktionären Blödsinn behelligen zu lassen, wenn es denn irgend möglich sein sollte.
War’s aber nicht. Da war beispielsweise ein vom Assistenten Adornos zu dessen Nachfolger avancierter Frankfurter Schule Professor mit der Angewohnheit, seinen ihm sich anvertrauenden Magister- und Doktorentitel anstrebenden Philosophiestudenten so beiläufig aufzutragen, in ihren Magister- oder Doktorarbeiten müsse denn doch auch deutlich werden, wie tief sie in die Materie der Kritischen Theorie als solcher Einblick genommen hätten. Wieweit sie beispielsweise verstanden hätten, in wiefern die kritische Theorie mit dem Heideggerschen existentialphilosophischen Ansatz so gravierende, grundlegend differierende, geschichtsphilosophisch aber auch metaerkenntnistheoretisch begründbare Unvereinbarkeiten aufweise. Und da müsse man schon die Hauptlinien der in “Sein- und Zeit” vorgetragenen bla und bla und bla …
Ja, und da blieb einem nichts anderes übrig, als “Sein und Zeit” aufzuschlagen, und sich reinzulesen in die Geworfenheit des Daseins als Seinsvergessenheit in der Zeitlichkeit der seinsmäßigen Verzeitlichung alles Dahineingeworfenen und so weiter und so ontologisch und so fort.
Und da ich weiß, daß der Autor von “Permaforst”, Joachim Klein ebenfalls in Frankfurt Philosophie studiert hat… Etwa zur gleichen Zeit wie ich… Und in einer Buchhandlung auf dem Unicampus gearbeitet hat, die etwa auf halbem Weg lag zwischen der Buchhandlung, in der ich selbst arbeitete, auf der linken Seite der Achse, und dem philosophischen Seminar auf der anderen, der rechten Seite der Achse, in dem besagter Frankfurter Schule Professor seine H-Vier-Amtsräume hatte, in denen er seine Möchte-gern-Doktoranten und -Magister empfing… Gehe ich da vielleicht Recht in der Annahme, daß Joachim Kleins exquisite Kenntnisse über Heideggers Werk einer derart geschuldeten Erlebnisgeschichte zu verdanken sind, und daß das Buch “Permaforst – Ein Heideggerroman” am besten zu verstehen ist als eine späte und gerade darum um so bittergalliger ausgefallene Rache am urgesteinigsten treudeutschdoofen Heimatphilosophen Sankt Martin von der traurigen Existenz am Titisee… Am Titisee und dessen Anrainerbergen, soweit sie von Fichten und Aberfichtenwäldern überzogen sein mögen… Vom Klottertal bis weit ins Allemannische hinein, und wenn sie nicht im Bodensee ersoffen sind, dann wesen und fichten und heideggern sie noch heute…
Für Heideggerhasser ein passendes Geburtstagsgeschenk. Die vorherige Lektüre von Sein und Zeit ist weder notwendig noch empfehlenswert.
Heipe Weiss, Frankfurt am Main