Zur Autorin/Zum Autor:
Alexandra Mattanza hat viele Jahre in New York und Los Angeles gelebt. Heute ist sie als freie Autorin, Auslandskorrespondentin und Fotografin für verschiedene Magazine tätig.
Ich bin mir fast sicher: Hätte ich eine Großtante, so würde auch sie vermutlich etwas mit dem Namen Banksy anfangen können. Doch wer sind all diese verkannten Künstler, die in der Regel nachts, alleine und zumeist in schwindelerregenden Höhen Wandgemälde zaubern? Was treibt sie an? Alessandra Mattanza hat – und das aus erster Hand – Antworten auf diese und andere Fragen gefunden.
(ausführliche Besprechung unten)
Sie sind mitten unter uns. Ihre gängigsten Reviere sind die Peripherien aber vor allem natürlich die Zentren von Metropolen wie New York, Marrakesch, London, Gent, Stavanger, Berlin, Perth oder Vardo in Nordnorwegen. Sie arbeiten meistens nachts und in der Regel alleine, und erst beim Licht des folgenden Tages können sie, unerkannt und ohne Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden, inmitten einer Menge von meist staunenden Zuschauern ihre Arbeit begutachten. In der Regel sind Hauswände, Giebel in schwindelerregenden Höhen, aber auch Mauern, Metrostationen, Garagentore oder 30 Meter hohe Silos ihre bevorzugten Arbeitsplätze. Hundertprozentig legal ist das, was sie tun, selbstverständlich nicht. Sie leben ihre Profession fast ausschließlich in der Anonymität aus. Ihre Namen lauten Roa, M-City, Banksy, Aryz oder Evol.
Unter Konservativen sind sie als Schmierfinken und Vandalen verschrien und werden in einen Topf mit denen gesteckt, die Hauswände oder Zugabteile mit ihren Tags verunzieren – dabei sind sie in erster Line begnadete Künstler. Die noch dazu eine Botschaft vermitteln, die fast ausnahmslos einen sozialkritischen Hintergrund beinhaltet. Oder, um es mit Aryz zu sagen, einem Künstler, dessen haushohes Wandbild „Greatful Death“ in Köln zu bestaunen ist: „Ich möchte Bilder schaffen, die man aus der Ferne sehen kann, denn heutzutage haben die Menschen keine Zeit mehr, etwas genau und sorgfältig zu betrachten.“
Nun hat die Schriftstellerin und Kunstfotografin Alessandra Mattanza in ihrem spektakulären Bildband Street Art – Legendäre Künstler und ihre Visionen rund zwei Dutzend der besten Street Art-Künstlerinnen und -Künstler versammelt und nicht nur mit Bildbeispielen ihres Könnens präsentiert, sonder sie auch (vielleicht erstmalig) selber zu Wort kommen lassen. In ihren Texten berichten sie erstaunlich offen über ihre Erfahrungen in der Szene, die Bedeutung der Anonymität und die Schwierigkeit, dennoch anerkannt zu werden und ihre Überzeugungen zu realisieren.
Und wirklich, wenn man sich diese Kunstwerke anschaut, bekommt man sofort Lust, sich das vor Ort anzusehen oder, wie in meinem Fall, man hält in der eigenen Stadt Ausschau nach solchen meist riesengroßen Wandgemälden. Und freut sich darüber.
Ein ausgesprochen anschauliches und unterhaltendes Buch ist da im Prestel Verlag erschienen, das einen unverfälschten Blick hinter die Kulissen einer ganz besonderen Szene von Künstlerinnen und Künstlern verschafft.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln