Zum Buch:
Geister erleben gerade einen Imagewandel. Sprach man von Geistergeschichten, dachte man bis vor Kurzem an Spuk und Grusel. Die zunehmende Faszination für fernöstliche Kultur und Spiritualität lenkt den Blick auf andere Geister, die zunächst einmal von einem anderen Verständnis des Todes zeugen. Wer stirbt, ist als Geist weiter anwesend und hält mit zum Teil komplizierten und überraschenden Ritualen Verbindung zu den Lebenden. Und da kann es dann auch schon wieder gruselig werden. Geister sind hier vor allem ein ganz selbstverständlicher Teil des Alltags, eine fortdauernde Kommunikation mit den Verstorbenen.
Yôkai sind Dämonen und Geister aus dem japanischen Volksglauben. Der Autor Shigeru Mizuki (1922 – 2015) hat die Yôkai in den Manga, den japanischen Comic gebracht. In seiner Heimatstadt Sakaiminato gibt es eine nach Mizuki benannte Straße in der mehr als 100 Statuen seiner Geisterschöpfungen zu bewundern sind.
Tante NonNon sind die Kindheitserinnerungen Mizukis. Die titelgebende Tante ist ihm dabei Schutz und zugleich Zugang zu der faszinierenden und beunruhigenden Welt der Geister und Kobolde. Wir begleiten den jungen Shigeru durch ein Japan der 30er Jahre, in dem das Leben in der Provinz noch sehr einfach und standesbewusst verläuft. Tokio wirkt wie ein ferner Planet, von dem aber immer wieder faszinierende Kunde kommt. Nicht zuletzt durch Shikerus liebenswürdigen Vater, der beschließt, seinen Job bei einer Bank aufzugeben, um ein Kino zu eröffnen. Er ist es auch, der die künstlerische Begabung seines Sohnes entdeckt und fördert. Shikeru kämpft mit schlechten Noten, einer ehrgeizigen Mutter und dem ‚Krieg‘ zwischen zwei Jungsbanden, den er immer nutzloser findet. Und immer, wenn er nicht mehr weiter weiß, fragt er Tante NonNon, eine skurrile, sehr kleine und schrumpelige alte Frau, die alles über Geister weiß.
Weil es ein Comic ist, bekommen wir diese Geister auch zu sehen. Es ist nicht das kleinste Vergnügen, der Fantasie des Zeichners in die Welt dieser so unterschiedlichen Unirdischen zu folgen. Wir sehen den dschinnhaften Enra Enra, Shikerus koboldartigen Kumpel Azuki und einen kaum greifbaren schwarzen Wellengeist.
Es dauert nicht lang und man ist gefangen von diesen Geschichten, diesen Erinnerungen, und schnell versteht man auch, welche Funktion und Rolle die Yôkai dabei spielen. Die Faszination dieser Erzählungen, die an Hayao Miyazaki und Astrid Lindgren erinnern, beruhen auf der tiefen Menschlichkeit, die ihnen zugrunde liegt, und dem Zeichenstil, dessen leicht karikierte Figuren vor einem sehr realistisch gezeichneten Hintergrund agieren.
Tante NonNon ist ein neu zu entdeckender Klassiker, ein Meisterwerk, der nun erstmals auf Deutsch vorliegt.
Jakob Hoffmann, Frankfurt am Main