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Autor
Némirovsky, Irène

Das Mißverständnis

Untertitel
Roman. Aus dem Französischen von Susanne Röckel
Beschreibung

Kurz nach dem ersten Weltkrieg lernen sich Denise und Yves in den Sommerferien in Hendaye kennen. Denise ist reich, verwöhnt und verheiratet, Yves hat der erste Weltkrieg Vermögen, gesellschaftliche Stellung und das Vertrauen ins Leben genommen. Sie beginnen eine leidenschaftliche Affaire, die auch nach der Rückkehr in Paris andauert. Aber was im Sommer so leicht und unbeschwert begonnen hat, lässt sich hier nicht mehr fortsetzen, und so zerbricht ihre Leidenschaft an den Gegensätzen des jeweiligen Alltags. Irène Némirovskys Romandebüt von 1922 ist eine feine, genaue Studie zweier Menschen, die ihrer jeweiligen Realität nicht ins Augen sehen können.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Knaus Verlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
176 Seiten
ISBN/EAN
978-3-8135-0467-5
Preis
17,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Irène Némirovsky wurde 1903 als Tochter eines jüdischen Bankiers in Kiew geboren. Nach der Oktoberrevolution ging die Familie nach Paris; dort avancierte Irène zum Star der Literaturszene. Bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges zog sie mit ihrer Familie in die Provinz, wurde jedoch 1942 deportiert und starb in Auschwitz.

Zum Buch:

Es ist die Zeit kurz nach dem ersten Weltkrieg. Der 30-jährige Ives Harteloup ist in die Sommerferien gefahren. Nach Hendaye, dem Ort, an dem er die glücklichsten Zeiten seiner Kindheit verbracht hat. Für einen kurzen Moment, morgens nach dem Aufwachen, kehren diese Empfindungen zu ihm zurück. Aber alles ist anders geworden. Er ist nicht mehr der junge Mann, der trotz des frühen Todes seiner Eltern in Luxus und Reichtum geborgen war. Der Krieg, den er von Anfang bis Ende mit all seinen Schrecken erlebt hat, hat ihm nicht nur sein Vermögen und die gesellschaftliche Stellung genommen, er hat ihn auch zutiefst verändert. Geblieben ist ihm eine große Müdigkeit, die an ihm frisst, „ein sonderbarer Blick in die Ferne, ein Blick, der alle menschlichen Schrecken gesehen hatte, alles Elend, alle Ängste… Viele waren … zurückgekehrt; … hatten weitergelebt wie der auferweckte Lazarus …. das Leichentuch noch um die Beine gewickelt, die Pupillen vergrößert von einer schrecklichen Trostlosigkeit.“

Aber jetzt sind Ferien und ein Teil seiner früheren Lebendigkeit kehrt zurück. Er lernt Denise – jung reich und verwöhnt – kennen. Sie wohnt mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann im gleichen Hotel. Die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affaire, die auch nach ihrer Rückkehr aus den Ferien andauert. Aber in Paris ist das Leben ein anderes: Yves arbeitet als kleiner Angestellter, sein Alltag ist von Eintönigkeit und Geldsorgen bestimmt. Die Liebe, die für kurze Zeit ein Ausweg aus seiner Misere schien, zermürbt ihn zusätzlich, denn Denise ist weit davon entfernt, sich in seine Lage versetzen zu können. Aber auch für sie bedeutet die Affaire zunehmend mehr Kummer als Glück. Sie leidet unter Yves vermeintlicher Gleichgültigkeit. Und obwohl beide versuchen, ihre Liebe zu erhalten, werden sie von den Gegensätzen ihres Lebens zerrieben.

Mit „Suite Française“ begann, fast 60 Jahre nach ihrem Tod, die Wiederentdeckung der in Auschwitz verstorbenen Schriftstellerin Irène Némirovsky. Seither sind zahlreiche ihrer Bücher in deutscher Übersetzung erschienen, und mit „Das Missverständnis“ liegt nun ihr Romanerstling vor, den sie mit 23 Jahren schrieb. Es ist verblüffend, mit welcher Leichtigkeit Nèmirovsky hinter einer gewöhnlichen Liebesgeschichte das feine Psychogramm eines ungleichen Paares entwirft, dessen Romanze daran scheitert, dass keiner von beiden in der Lage ist, sich ernsthaft auf den anderen einzulassen. Nur kurz streift sie Yves Erfahrungen im Krieg, aber das genügt, um die seltsame Taubheit und Kühle seines Verhaltens zu erklären, seine Unfähigkeit, die Verspieltheit einer Affaire oder die Glut tiefer Leidenschaft zu empfinden. Denise, die offensichtlich nie etwas anderes als Sicherheit und Wohlstand kennen gelernt hat, deren Alltag aus einer sie zunehmend langweilenden Ehe besteht, gerät in die typische Falle einer Frau, für die die Liebe die Leere in ihrem Leben ausfüllen soll.

Manches an dem Buch wirkt heute etwas schwülstig, kitschig ist es nie, dazu beherrscht Nèmirovsky ihr Handwerk selbst in ihrem Erstling zu gut. Die Schilderung einer verhangenen frühherbstlichen Nacht im Bois de Boulogne, die das titelgebende Missverständnis hervorruft, ist genauso meisterhaft wie die Beschreibung eines Nachtlokals voller lebensgierig trinkender und tanzender Menschen, die wie ein Bild von Otto Dix anmutet. So ist „Das Missverständnis“ nicht nur ein Roman über eine scheiternde Liebe, sondern ein gelungenes Abbild seiner Zeit.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co., Frankfurt