Zum Buch:
Eine junge Frau ist Anfang der 30er Jahre von ihrem Geliebten zu einer Fahrt nach Südfrankreich eingeladen worden. Man fährt im Auto von München in Richtung Nizza. In Deutschland zieht der Nationalsozialismus auf, und beide sind froh, den schwierigen Verhältnissen für ein paar Wochen (?), Monaten (?) zu entkommen und in südlichen Gefilden einen sanfteren Hintergrund für ihre Liebe zu finden. Die beiden sind ein Paar – aber kein exklusives. Er hat wechselnde Geliebte – aktuelle und verflossene –, zu denen er weiterhin in Verbindung steht, ist beruflich erfolgreich und finanziell unabhängig, sie ist eine geübte Junggesellin, die von einem schmalen Gehalt lebt. Nun bietet der weltgewandte, ältere Mann ihr seine Welt, die mondäne Côte-d’Azur, dar.
Dort angekommen, stellen sich schnell die Unterschiede zwischen ihnen heraus: Sie hat von einem Häuschen für beide geträumt, ihm ist ein Hotel angenehmer. Sie wünscht sich eine ruhige Zweisamkeit, er lebt sein gewohntes Leben weiter, hat jede Menge Bekannte, schreibt Telegramme nach Deutschland, damit ihm seine Post geschickt werden kann. Sie ist sich der altersmäßigen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen ihnen durchaus bewusst, aber seine generöse Art – “mein liebes Kind” nennt er sie – lässt sie zunehmend schrumpfen, bis sie sich klein und unerfahren neben ihm fühlt. Gleich am ersten Abend, im Casino von Monte Carlo, lernt sie ein neue Seite an ihm kennen: “Mein Herz setzt aus. Da sitzt Du, bist heiser, Schweiß auf Deiner Stirn (…), Du wirfst Banknoten über den Tisch …” Entsetzt und enttäuscht schreibt sie ihm im Hotel einen kurzen Brief und geht …
Dann findet sich alles so, wie in ihrem Traum vom Süden: Sie findet ein winziges Häuschen im Schilf nahe dem Meer, eine kleine Katze dazu und neue Freunde: Wolf, einen jungen deutschen Maler, der ihr hilft, sich im Haus einzurichten und sich in St. Tropez – damals noch ein gerade entdecktes Fischerdorf – zurechtzufinden, und Marianne, eine junge Frau. Das Wichtigste aber für sie ist, sich selbst und ein eigenes Leben wiederzufinden. Eines, das ihren Vorstellungen und ihrem Budget entspricht. Sie spürt zwar den Schmerz der Trennung, lässt aber nicht zu, dass er das neue Leben überschattet.
Als sich die beiden unerwartet begegnen, findet der Mann eine andere Frau vor. Eine, die sich nicht mehr verbiegen will. Die sich wieder auf ihn einlässt, aber sich nicht wieder verlieren wird – und am Ende des langen Sommers ist es ihre Landschaft, die den Hintergrund für die gemeinsame Liebe abgibt.
Helen Wolff ist eine typische Vertreterin der Neuen Sachlichkeit. Ihr Stil ist leicht, schnell, unsentimental und realistisch. Der Text ist konsequent aus der Ich-Perspektive erzählt, und die beiden Hauptfiguren bleiben bis zum Ende namenlos. Wenn das erzählende ICH von IHM spricht, wechselt es in die direkte Anrede, ins DU. Alle anderen Protagonisten werden aus der Perspektive der Heldin erzählt. Aus heutiger Sicht mag die Hingabe an einen Mann und die Liebe befremdlich erscheinen, aber die Klarsicht der Erzählerin, die weder sich, ihren Liebsten noch das Geschehen romantisch vernebelt, macht das Buch zu einer klugen, unterhaltsamen und vergnüglichen Lesereise in eine untergegangene Welt.
Hintergrund für Liebe ist eine stark autobiographisch beeinflusste Erzählung. Helen Wolff, die nach dem Tod ihres Mannes Kurt Wolff den gemeinsam in New York aufgebauten Verlag lange erfolgreich weiterführte, hat in ihren jungen Jahren selbst Erzählungen und Theaterstücke geschrieben, die aufgrund der politischen Entwicklungen weder in Deutschland noch später im Ausland veröffentlicht wurden. Wolffs Großnichte, Marion Detjen, hat das Manuskript in deren Nachlass gefunden, mit dem Vermerk “At my death, burn or throwaway unread!” – woran sie sich zum Glück nicht gehalten hat. Statt dessen ergänzen ein Essay – nur unwesentlich kürzer als der eigentliche Text und mindestens genauso spannend zu lesen – über das gemeinsame Leben von Helen und Kurt Wolff sowie die Geschichte von Helen Wolffs früher literarischer Produktion das Buch.
Ruth Roebke, Bochum