Zum Buch:
Schon immer hat mich interessiert, wie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aus einer Gesellschaft der weitgehend Gleichen, sprich: von Menschen ohne nennenswert größeres Privatvermögen, scheinbar über Nacht einige Wenige zu unglaublichem Reichtum kommen konnten. Dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen sein konnte, war zu vermuten. Aus dem so erhellenden wie erschütternden Bericht von Bill Browder erfährt man einiges über das Vorgehen und das Ausmaß der ungeheuren Bereicherung der so genannten russischen Oligarchen. Sein autobiographischer Erfahrungsbericht liefert eine Fülle von Fakten, analysiert die Ereignisse und stellt Zusammenhänge her.
Der Investmentbanker Bill Browder sieht Anfang der 1990er Jahre bei der Privatisierung der russischen Staatsbetriebe ein riesiges Potenzial für Kapitalanleger. Anfangs kostet es ihn einige Mühe, seinen Arbeitgeber von der einmaligen Chance zu überzeugen, Geld zur Verfügung zu stellen, um das Terrain zu sondieren und zu investieren. Er reist nach Moskau und erwirbt binnen weniger Wochen Privatisierungs-Coupons für 25 Millionen Dollar. Was die Coupons tatsächlich wert sind, was die Regierung Jelzin mit ihrer Verteilung an die Bevölkerung wohl bezweckt haben mag und viele weitere Details und Abläufe werden in dem Buch schlüssig dargestellt und erklärt. Mit dem Erwerb von Coupons kommt Browders Arbeitgeber Salmon Brothers “in den Besitz der unterbewertetsten Aktien in der Geschichte im Wert von 25 Millionen Dollar”. Innerhalb kürzester Zeit hat das 25-Millionen-Dollar-Portfolio seinen Wert verfünffacht! Die Meute internationaler Investoren leckte Blut, und der vormals belächelte Investmentbanker avancierte zum gefragten Berater. Aber Bill Browder wollte sein Wissen und seine Kontakte auch für sich selbst nutzen und Kasse machen. 1996 gründet er daher seine eigene Firma, den Investmentfonds Hermitage Capital Management. Der Fonds wird auf seinem Höhepunkt 2005 ein Vermögen von 4,5 Milliarden Dollar verwalten und den Investoren sagenhafte Renditen bescheren. Er macht Bill Browder sehr reich und zum erfolgreichsten ausländischen Investor in Russland. Dafür hat Browder viele Jahre gearbeitet und etliche Rückschläge eingesteckt. Er hat sich mit einigen der Oligarchen – nicht ohne Gefahr für Leib und Leben – angelegt, und er hat krasse Fälle von Aktienbetrug und von groß angelegtem Steuerbetrug aufgedeckt. Bill Browder wird ein Star, der von der westlichen Finanzwelt als Held gefeiert wird. Als er jedoch mit seinem öffentlichkeitswirksamen Engagement gegen Korruption und Rechtsunsicherheit für ausländische Firmen in Russland einigen Personen auf höchster Regierungsebene gefährlich zu werden droht, beginnt sein Stern zu sinken. Am 13. November 2005, als Bill Browder aus London kommend in Moskau landet, wird ihm die Einreise verweigert und sein Pass eingezogen. Nach vielen Stunden bangen Wartens wird er ohne Erklärungen in ein Flugzeug verfrachtet und nach Großbritannien abgeschoben. Das erwies sich schon bald als Glücksfall, denn in den folgenden Wochen erklärten russische Behörden ihn zu einer „Gefahr für die nationale Sicherheit”. Er kann seither nicht mehr in Russland einreisen, seine Moskauer Geschäftsräume wurden durchsucht, Unterlagen beschlagnahmt, seine Firma ist verloren. Der entscheidende Wendepunkt im Leben des Finanzjongleurs sollte aber erst noch kommen. Es ist der gewaltsame Tod seines früheren Wirtschaftsanwalts und Freundes Sergej Magnitsky im Gefängnis. Als einziger Mitarbeiter aus Browders Firma war er bei seiner Familie in Russland geblieben, um weiterhin für die Rechte und Interessen des Unternehmens zu kämpfen. Bill Browder ist erschüttert. Er ist sich sicher, dass Magnitsky stellvertretend für ihn und als Warnung an alle, sich nicht mit Putin anzulegen, getötet wurde.
Was sich über große Passagen wie ein ausgeklügelter Wirtschaftskrimi liest, ist wohl leider bittere Realität in Russland. Bill Browder hat jahrelang dafür gekämpft, dass Sergej Magnitskys furchtbares Schicksal nicht vergessen wird. Auf sein unermüdliches Engagement hin haben die USA 2012 ca. 60 russische Beamte, die in Magnitskys Tod verwickelt sein sollen, mit Visabeschränkungen belegt und ihre Auslandsvermögen eingefroren – das erste Gesetz seit 35 Jahren, mit dem die USA Russland sanktionieren.
Sicherlich ist oder war Bill Browder ein weitgehend skrupelloser Investmentbanker. Für seinen Einsatz gegen die Menschenrechtsverletzungen in Russland gebührt ihm allerdings Respekt. Sein spannendes Buch verdient auch deshalb viele Leserinnen und Leser.
Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen &Café