Zur Autorin/Zum Autor:
Karen Duve, geb. 1961in Hamburg, lebt mit einem Maultier, einem Pferd, einem Esel, zwei Katzen und zwei Hühnern auf dem Lande in der Märkischen Schweiz. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Das Cover leuchtet gelb wie Raps. Raps ist im Jahr 2031 zu einer Plage geworden, er heißt nur noch Killer-Raps, ein unübersehbares Zeichen der Klimakatastrophe, die trotz eines ausgeklügelten Systems, das den exakten Co2-Verbrauch eines jeden Bürgers kontrolliert, eingetroffen ist. In 15 Jahren kann sich niemand mehr einfach ein schönes Stück Fleisch leisten, nur weil er Lust darauf hat, das muss schon in den Co2-Punkteplan passen.
Die Mehrzahl der Führungskräfte ist mittlerweile weiblich, der Staatsfeminismus wurde ausgerufen, die Viagra toppende Ganzkörperpille Ephebo ist auf dem Markt – ein Jungbrunnen, der zwei Tage vor dem 50jährigen Abitreffen eine äußert reizvolle Droge ist – und die Helmpflicht für Fahrradfahrer ist endlich durchgesetzt worden.
Duve liefert eine Satire auf unsere Freude an negativen Utopien. Sie ist dabei greller als andere Autoren, damit aber vielleicht auch ehrlicher und auf alle Fälle bösartiger und lustiger. Sie spielt gekonnt auf der Klaviatur der Angstlust, die unsere Dystopien auslösen. Unbedingt lesen, lachen, gruseln.
(ausführliche Besprechung unten)
Das Cover leuchtet gelb wie Raps. Raps ist im Jahr 2031 zu einer Plage geworden, er heißt nur noch Killer-Raps, ein unübersehbares Zeichen der Klimakatastrophe, die trotz eines ausgeklügelten Systems, das den exakten Co2-Verbrauch eines jeden Bürgers kontrolliert, eingetroffen ist. In 15 Jahren kann sich niemand mehr einfach ein schönes Stück Fleisch leisten, nur weil er Lust darauf hat, das muss schon in den Co2-Punkteplan passen. Und nur weil man das Geld hat, kauft man sich auch keinen Oldtimer mehr, etwa einen weißen Opel Rekord Coupé von 1965, wie ihn der Vater des Protagonisten in Karen Duves neuem Roman Macht gefahren hat. So ein alter Opel schluckt dermaßen „viel Benzin, dass ich mit ihm wieder zum Vegetarier werden müsste“, sinniert Sebastian.
Schon im April steigt das Thermometer auf über 35 Grad, Wirbelstürme ziehen übers Land. Windgeschwindigkeiten von über 150 Stundenkilometern werden erwartet, als Sebastian auf sein Dach im Hamburger Vorort Wellingstedt steigt, um die Ziegel zu sichern. Die Mehrzahl der Führungskräfte ist mittlerweile weiblich, der Staatsfeminismus wurde ausgerufen, die Viagra toppende Ganzkörperpille Ephebo ist auf dem Markt – ein Jungbrunnen, der zwei Tage vor dem 50jährigen Abitreffen eine äußert reizvolle Droge ist – und die Helmpflicht für Fahrradfahrer ist endlich durchgesetzt worden.
Alles in allem ist vieles von dem umgesetzt, was uns heute als Ideal vorgebetet wird. Eine ironische Mixtur aus Parteiprogramm der Grünen, Pressemitteilungen der Pharmaindustrie und Stammtischparolen. Sebastian aber, einem noch in den 60ern des vergangenen Jahrhunderts geborenen einstigen Frauenrechtler, ist das alles zu schnell gegangen. Sein nach Fleisch lechzender Körper kommt mit dem Co2-Punktesystem genauso wenig zurecht wie sein nach Macht strebender Geist mit der Karriere seiner Frau, Ministerin in Berlin. Was gibt es da Besseres, als einfach die Zeit zurückzudrehen und in das Haus der Kindheit einzuziehen, allerdings alleine, denn die Frau hat sich vor vier Jahren von ihm scheiden lassen, die Kinder wohnen bei der Schwiegermutter.
Sebastian hat viel Zeit, das Haus so einzurichten, wie es in seiner Jugend war: „Ich habe gerade das Telefon installiert, das ich auf dem Dachboden gefunden habe, ein einfacher hellgrauer Fernsprechapparat mit Wählscheibe und ohne technische Fisimatenten – kein Stand-by-Modus, kein Bildschirm, kein integriertes Kopiergerät, dessen Druckerpatrone nur unter Zuhilfenahme einer bebilderten Bedienungsanleitung gewechselt werden kann, und vor allem kein Anrufbeantworter.“ Tatsächlich erinnern die Beschreibungen des Hamburger Interieurs an die perfekten Bühnenbilder der amerikanischen Serie Mad Man– freilich übertragen ins deutsche kleinbürgerliche Milieu. Hier wie dort funktioniert ein solches Interieur nicht ohne “Hausfrau“.
Hat Sebastians Mutter einst noch freiwillig ihren kostenlosen Dienst in der Küche verrichtet, so muss man heute die Frauen in Ketten legen, damit sie kochen, backen und – ja, auch das – einen lieben. Genau das macht Sebastian. Er entführt seine geschiedene Frau, die Mutter seiner Kinder, sperrt sie in ein fensterloses Kellerloch mit Messingbett, Ikea-Sofa und Kücheninsel. Hier backt sie fortan im hellblauen Blümchenkleid und rosa-karierter Schürze seine Lieblingsplätzchen und ist ihm zu Diensten. Sie soll ihre Lektion lernen: Körperlich sind die Männer den Frauen überlegen.
Die Bösartigkeit und Inkonsequenz des Protagonisten, der sich stets als Opfer sieht, ist dabei nicht nur unterhaltend, sondern auch entlarvend im Hinblick auf die eigenen Schwächen, Sehnsüchte und Ideale, die uns heute umtreiben, und dabei ist es völlig egal, ob man Frau oder Mann ist. Hat nicht jeder schon mal sein Handy oder seinen Drucker verflucht, glaubt nicht jeder in seinen schwachen Momenten, dass früher alles besser gewesen ist? 15 Jahre sind gar nicht so lange hin, und was sich auf Seiten wie WikiMANNia im Netz zusammenbraut, berichtet von ebenso überforderten Individuen, wie es Sebastian ist. WikiMANNia ist eine seit 2009 aktive „Wissens-Datenbank über Benachteiligungen von Jungen und Männern, sowie Bevorzugungen von Maiden und Frauen“, so die Selbstauskunft. Was, wenn die Reden von Gleichberechtigung tatsächlich durchgängig nur als äußerliche, der Political Correctness geschuldete Floskeln entlarvt werden? Sind wir nicht alle kleine Sebastians, die von der modernen Technik wie von den gesellschaftlichen Veränderungen gelegentlich genervt oder gar überfordert sind, die sich nach dem Erdbeerfeld sehnen, das der Golfplatz unter sich begraben hat, nach dem schönen alten Bakelit-Telefon oder auch nur nach seinem kleinen Bruder, dem grauen Standardmodell aus Plastik? Auf unserem Schoß liegen „Landlust“ und der Manufactum-Katalog? Und wie werden wir reagieren, wenn die Helmpflicht für Radfahrer eingeführt wird? Wenn wir kein Steak mehr essen dürfen, weil wir einmal zu viel mit dem Auto gefahren sind – zum Hockeyturnier der Kinder?
Duve liefert eine Satire auf unsere Freude an Dystopien, an negativen Utopien. Sie ist dabei greller als andere Autoren, damit aber vielleicht auch ehrlicher und auf alle Fälle bösartiger und lustiger. Sie spielt gekonnt auf der Klaviatur der Angstlust, die unsere Dystopien auslösen. Unbedingt lesen, lachen, gruseln.
Ines Lauffer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt