Zum Buch:
Kate Tempests Texte sind von einer enormen Musikalität. Die junge Britin kann zu diesem Zeitpunkt bereits auf zwölf Jahre Bühnenerfahrung als Hiphop Musikerin zurückblicken. Die Nähe zum gesprochenen, rhythmischen Wort ist Tempest auch in ihrer Lyrik nicht abhandengekommen. Ihre Gedichte erzeugen einen Sog, der sich von der getragenen, innerlichen Metrik unterscheidet. Vielmehr gehen ihre Worte eine symbiotische Beziehung mit einem äußerlichen, lebendigen Rhythmus ein, der ihnen Leben – Herzschlag und Atmung – einschreibt. Auch in ihrer Symbolik und Metaphorik bleibt Körperlichkeit von zentraler Bedeutung. Im titelgebenden Langgedicht des Sammelbandes Hold your own findet sich die antike Gestalt des Sehers Tiresias auf der Suche nach dem Eigenen zwischen verschiedenen Körpern wieder. Tempest beschäftigt sich sehr stark mit der Verbindung Körperlichkeit, Geschlecht und Alter. Diese Motive finden sich auch in ihren anderen Gedichten wieder. Viele sind kurze Einblicke, in denen jugendliche Absolutheit und die Kompromisslosigkeit antiker Tragödien nicht zu unterscheiden sind. Immer aber geht es in den Gedichten, die von Tempests musikalischer Schreibweise mitgetragen und dadurch glaubhaft werden, um Leben und Lebendigkeit.
Kate Tempest wird als „Spoken-Word-Poetin“ bezeichnet. Die Übertragung ihrer Gedichte in Textform tut deren Wirkung allerdings keinen Abbruch. Im Gegenteil: gerade die vermeintliche Zweischneidigkeit ihrer Texte, die zum Einen von einer forschen und direkten Sprache leben, die deutliche Einflüsse der Jugend- und Umgangssprache aufweist, und zum Anderen inhaltliche Anleihen sowohl bei den griechischen Mythen als auch bei Beat-Poeten wie Allen Ginsberg macht, profitiert von der schriftlichen Form.
Der Anspruch, antike Mythologien auf eine zeitgenössische Ebene zu bringen und sich dabei Einflüssen aus Hiphop und Jugendkultur zu bedienen, klingt wie ein Schulprojekt, das nur schiefgehen kann. Es bedarf Tempests hoher sprachlicher Begabung und Aufrichtigkeit gegenüber der eigenen Zeitgenossenschaft, um es gelingen zu lassen. Ihre schroffe Sprache bleibt auf allen Ebenen glaubhaft, und so schafft sie es, eine Vorstellung zeitgenössischer Lyrik aufzuzeigen, die zu ihrer eigenen Sprache findet.
Die Übersetzung von Johanna Wange, die in der Suhrkamp Ausgabe dem englischen Original an die Seite gestellt ist, dient vor allem als Verständnishilfe. Es wird nicht versucht, die Rhythmik, die für Tempests Dichtung so entscheidend ist, im Deutschen nachzuformen, eine Entscheidung, die für diese Texte deshalb vollkommen adäquat ist, da so die Bedeutung des Klangs und Ausdrucks des Englischen nicht verdeckt wird.
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt