Zum Buch:
1919 unternehmen Jack Alcock und Arthur Brown, zwei Flieger, die im ersten Weltkrieg abgeschossen wurden, den Versuch, als erste den Atlantik nonstop von Neufundland nach Irland zu überqueren. Mehr noch als Ruhm, Ehre und einem Preisgeld ist es für beide der Versuch, aus ihrer großen Leidenschaft, dem Fliegen, die Schrecken des Krieges zu vertreiben. So stürzen sie sich in das Abenteuer, in einem umgebauten, offenen Bomber mit Leinenbespannung, mit Navigationsinstrumenten, die nur bei freier Sicht funktionieren, mit einer Fluggeschwindigkeit von 145 Stundenkilometern und Treibstoff für 30 Flugstunden das offene Meer zu überqueren.
Über 100 Jahre früher, 1845 reist ein junger Mann zu einer Vortragsreise nach Irland. Frederick Douglass ist ein aus den amerikanischen Südstaaten entflohener Sklave, der ein leidenschaftliches Buch gegen die Unmenschlichkeit dieses Systems verfasst hat. In Irland reist er mit seinem Verleger durch das Land und wird von den Menschen begeistert empfangen. Er genießt die Unbeschwertheit der Freiheit, muss er doch in Amerika ständig damit rechnen, wieder in den Süden verschleppt und bestraft zu werden. Aber auch Irland ist kein Paradies. Im Land wütet die Kartoffelfäule und zerstört das Hauptnahrungsmittel der armen Bevölkerungsschichten. Eine wüste Hungersnot ist ausgebrochen, gegen die die herrschende englische Klasse nichts unternimmt. Das Elend, dem Douglass begegnet, steht den Leiden der Sklaverei in nichts nach.
1998 tobt in Nordirland der Bürgerkrieg, der durch Kampf und Terror auf beiden Seiten viele Opfer fordert. Der US-Senator George Mitchell versucht als Verhandlungsführer in mühsamen, sich über Monate hinziehenden Sitzungen, die verfeindeten Seiten zur Unterzeichnung eines Friedensabkommens zu bewegen. Wöchentlich pendelt er zwischen New York, wo er mit seiner Frau und seinem Baby lebt, und Belfast hin und her. Jetzt sind die Verhandlungen in die entscheidende Phase gekommen, und was jetzt nicht gelingt, wird den Prozess für lange Zeit zurückwerfen. Von dem Land, für das er arbeitet, bekommt er wenig mit. Er muss strikte Neutralität wahren, jeder persönliche Kontakt könnte ihm als Parteilichkeit ausgelegt werden. Unbefangene Begegnungen mit anderen Menschen sind selten.
Vier Männer, drei historische Momente, drei Geschichten, die aufeinander folgen. Die Verbindung zwischen ihnen entsteht durch die Schicksale von vier Frauen. Im irischen Hause des Verlegers Webb trifft die junge Hausmagd Lily Duggan auf Douglass. Seine Persönlichkeit, sein Schicksal wecken in ihr einen unbändigen Freiheitsdrang. Sie verlässt ihre Arbeitsstelle und wird eine der vielen, die dem hungernden Irland für die Freiheit in Amerika den Rücken kehren. Ihre Tochter Emily, die als Journalistin arbeitet, und die Enkelin Lottie, eine begabte Fotografin, beobachten den Abflug der beiden Atlantiküberquerer, und Lottie gibt ihnen einen Brief der Mutter an einen irischen Adressaten mit. Lottie wird später in Irland leben, heiraten und ihren Enkel bei einer unaufgeklärten Schießerei verlieren. In hohem Alter lernt sie flüchtig Senator Mitchell kennen, dessen Friedensbemühungen sie verfolgt. Lotties Tochter Hanna schließlich wird diejenige sein, die den nie angekommenen Brief öffnen wird.
Man könnte einwenden, die Geschichte sei ziemlich konstruiert und es herrsche die alte Geschlechteropposition – hier die heldenhaften Männer, dort das profane Leben der Frauen. Aber zum Glück für den Leser ist das überhaupt nicht so. Die Begegnungen der Figuren sind zufällig, leicht und flüchtig. Wie Billiardkugeln berühren sie sich kurz, und doch haben diese Begegnungen Auswirkungen auf die Richtung, die ihr Leben danach nimmt. Natürlich könnte man es abgedroschen finden, den Männern wieder die Öffentlichkeit und den Frauen das Private zuzuordnen. Aber so ist es nicht. McCann gelingt es, beide Sphären gleichwertig darzustellen, weil es ihm nicht um Taten geht, sondern um das, was die Menschen ausmacht; ihren Mut und ihre Kraft, ihre Angst, Schmerz und Trauer und das wirkliche Glück, das im Miteinander besteht und nicht im Einzelkämpfertum.
Für jede Person, jeden Handlungsstrang findet McCann einen eigenen Ausdruck, jede der Figuren hat ihren eigenen Klang. Jede Episode könnte für sich eine perfekte Kurzgeschichte sein, deren größte Qualität es ist, wenn der Leser sie im Kopf zum Roman ausbaut. Collum McCanns Sprache ist leuchtend und poetisch, kraftvoll und klar. „Transatlantik“ sind 377 Seiten pures Leseglück.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt