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Autor
Kumerdej, Mojca

Chronos erntet

Untertitel
Roman. Aus dem Slowenischen von Erwin Köstler
Beschreibung

Landschaftsbilder stehen neben einer scheinbar der Zeit enthobenen Märchensprache, die dann aber wieder abgelöst wird von ins historische Geschehen eingebetteten Diskussionen über Religion, Konfession und Macht. Polyphon ist dieser wunderschöne Roman, aber alles fügt sich zusammen zu einem Bild der Gegenreformation als einer Zeit allgemeiner Verunsicherung. Es lohnt sich gerade heute, in unserer unsicheren Zeit, Kumerdejs Roman zu lesen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Wallstein Verlag, 2019
Format
Gebunden
Seiten
472 Seiten
ISBN/EAN
978-3-8353-3442-7
Preis
28,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Mojca Kumerdej, geb. 1964, ist eine slowenische Autorin, Philosophin und Journalistin. Nach ihrem Studium der Philosophie und Kultursoziologie an der Universität von Ljubljana debütierte sie mit ihrem parodistischen Roman »Krst nad Triglavom«. Darauf folgten zwei Bände mit Erzählungen, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Für ihren zweiten Roman »Kronosova žetev« (Chronos erntet) erhielt sie den renommierten Prešeren Fund Award.

Zum Buch:

Landschaftsbilder stehen neben einer scheinbar der Zeit enthobenen Märchensprache, die dann aber wieder abgelöst wird von ins historische Geschehen eingebetteten Diskussionen über Religion, Konfession und Macht. Polyphon ist dieser wunderschöne Roman, aber alles fügt sich zusammen zu einem Bild der Gegenreformation als einer Zeit allgemeiner Verunsicherung. Mojca Kumerdej erhielt für ihren Roman Chronos erntet den slowenischen Prešeren Fund Award, und im Frühjahr dieses Jahres wurde Erwin Köstler für seine Übersetzung mit dem Fabjan-Hafner-Preis ausgezeichnet.

In den innerösterreichischen Erblanden des Habsburger Reiches im späten 16. Jahrhundert machen Krankheit und Unwetter, Schädlinge, Konfessionsstreitigkeiten und absolutistische Machthaber den Leuten das Leben schwer. Letztlich jedoch, so heißt es in Chronos erntet, ist die Zeit der schlimmste Feind des Menschen. Was Chronos hervorbringt, das zerstört er auch wieder. Alles Gute, Hoffnungsfrohe im Menschen sei nur Teil seines Plans, die Menschheit gedeihen zu lassen, bevor er sie ernten kann. Den Menschen geht es derweil darum, die beste Geschichte zu haben – um den Katholizismus zu verteidigen oder den Protestantismus zu befördern, um den Vater zu überzeugen, die Schwangerschaft rühre aus einer Begegnung mit dem Teufel, um einen Bauern zu ächten oder seine Tochter zu foltern. Adelige, Schreiber, Jesuiten, Säufer, Mägde, Bauern, Zauberer, Hexen und Dämonen, sie alle kommen in parallelen Erzählsträngen zu Wort, die wichtigste Stimme hat jedoch „das Volk“, entscheidet es doch unbarmherzig nach Unterhaltungswert und Plausibilität der Geschichten und geht dabei nicht selten rabiat vor.

Misstrauisch beäugt wird der Bauer Kostanšek, dessen Hof eigentlich auf dem besten Weg war, den Bach hinunter zu gehen. Nach dem Besuch eines jüdischen Medikus wird nicht nur seine Tochter nach langer Krankheit auf wunderliche Weise gesund, sondern es erscheinen auch sieben stumme Riesen, die durch ihre stoische, übermenschliche Arbeit dem Hof zu Prosperität verhelfen. Neugierige Nachbarn meinen gesehen zu haben, wie der Bauer sie des Morgens zum Leben erweckt, indem er ihnen Plättchen in den Mund legt. Golems seien das, die deshalb nicht sprächen, weil sie keine Menschen, sondern künstliche Kreaturen wären. Als der Graf die Tochter des Bauern schließlich als Hexe verbrennen lassen will, erzählt man sich, haben diese sieben Golems zusammen mit Kostanšek und einer wütenden Riesin die Tochter befreit, nachdem die Riesin mit ihrem Busen den Kirchturm zum Einstürzen gebracht hat. Wenige Jahre später ist man sich aber nicht mehr sicher, ob es nicht vielleicht doch ein Sturm war, der den Schaden an der Kirche verursacht hat. So schließt sich hier gut die parallele Erzählung des Gerichtsschreibers an, der es nicht mehr erträgt, die grausamen Hexenprozesse zu protokollieren. Stattdessen beginnt er, seine philosophischen Gedanken und existenziellen Zweifel, „Über die Trüglichkeit der Sinne und Wahrnehmungen“, aufzuschreiben, die ihn selbst so verunsichern, dass er dem Wahnsinn verfällt.

Neben dem Chronos-Motiv durchzieht die Figur der Synkope den Roman, eine Figur, die Spannung erzeugt, das Leichte schwer und das Schwere leicht werden lässt und in ihrer Umkehrungswirkung karnevalistische Funktionen erfüllt. Chronos’ regelmäßiges Fortschreiten kann zwar nicht aufgehalten werden, aber durch die Geschichten und das Nachdenken der Menschen wird der Rhythmus variiert. Ist Mojca Kumerdejs Roman ein historischer Roman? Ja, aber genauso ein philosophischer und fantastischer.

Nervös ist die Gesellschaft Ende des 16. Jahrhundert, in einer Zeit von „moralisch-meteorologisch-medizinischen Katastrophen“. Wer heute die Gunst auf seiner Seite hat, kann sie morgen durch Klimaumschwünge, Krankheiten oder die Launen von Adel und Klerus schon verloren haben. Aus dieser Nervosität entstehen Gewalt, Mythen und Gedanken über den Handlungsspielraum des Menschen als mögliche Wege, den Rhythmus der Zeit zumindest zu variieren, wenn er schon nicht aufgehalten werden kann. Es lohnt sich gerade heute, in unserer nervösen Zeit, Kumerdejs Roman zu lesen.

Alena Heinritz, Innsbruck