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Autor
Geiser, Christoph

Grünsee

Untertitel
Herausgegeben von Julian Reidy und Moritz Wagner
Beschreibung

In seinem autobiografisch geprägten Erstlingswerk verknüpft Christoph Geiser mit bemerkenswerter Beiläufigkeit so große Themen wie den durch äußere wie innere Einflüsse bedingten Zerfall einer gutbürgerlichen Familie, die eigene sexuelle Neuorientierung sowie das unbändige Verlangen eines jungen Schriftstellers, der den Mut fasst, sich den Zwängen einer überholten Gesellschaftsform zu entziehen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Secession Verlag Berlin, 2022
Format
Gebunden
Seiten
301 Seiten
ISBN/EAN
9783966390507
Preis
26,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Christoph Geiser, geboren 1949 in Basel, hat für sein Werk zahlreiche Preise erhalten, zuletzt 2018 den Großen Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern. 1980 war er als German-Writer-in-Residence am Oberlin College, Ohio/USA; 1983/84 Gast des DAAD-Stipendium des Berliner Künstlerprogramms in Berlin. Weitere Stipendium führten ihn nach London, an die Cité Internationale des Arts in Paris, nach New York und ins Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf. 2000 war er Stadtschreiber in Dresden. Christoph Geiser ist Mitglied des Deutschschweizer PEN-Zentrums sowie korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Darmstadt. Er lebt und arbeitet in Bern und Berlin.

Zum Buch:

Der Ich-Erzähler in Christoph Geisers Debütroman Grünsee wird von seinem Bruder eingeladen, gemeinsam mit Freunden an einer Skitour in Zermatt teilzunehmen, und dazu bedarf es einiges an Überredungskunst, denn das Skifahren hat der junge, aufstrebende Autor längst aufgegeben. Allein durch die Aussicht, für einige Tage in derselben Ferienwohnung unterzukommen, in der sie bereits als Kinder gemeinsam mit der Großmutter die Winterferien zubrachten, lässt er sich schließlich umstimmen.

Während man sich auf den Pisten unterhalb des Matterhorns vergnügt, streift der kontaktscheue Erzähler durch den Ort seiner Kindheit, wo er für ein Romanprojekt recherchiert, das die Ereignisse rund um die Typhusepidemie aus dem Jahr 1963 zum Thema hat und aus der Sichtweise der leicht extrovertierten Großmutter geschildert werden soll, welche die damaligen Ereignisse noch selbst miterlebt hatte.

Doch je mehr er sich mit den damaligen Geschehnissen auseinandersetzt, desto tiefer dringt er auch in die eigene Familiengeschichte ein, die geprägt ist vom Zerfall des liberalen Bürgertums, einer irreparablen Vater-Sohn-Beziehung, der Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Neuorientierung sowie dem unbändigen Verlangen, sich dem Diktat einer überholten Gesellschaftsform zu entziehen, indem er seinen Weg als Autor sucht, dessen Selbstreflexion mehr und mehr zu einer Gratwanderung twischen kühler Distanzt und unbefangener Offenheit gerät.

Gerade die schonungslos beiläufige Erzählweise überzeugt in Christoph Geisers stark autobiografisch geprägten Romanen und muss daher als dessen unverkennbares Markenzeichen angesehen werden. Seine Zurückhaltung ist trotz alledem nur Mittel zum Zweck, denn indem er selbst bei Landschaftsbeschreibungen nur als Beobachter fungiert und lediglich auf besondere Eigenheiten hinweist, räumt er dem Leser ein Übermaß an Interpretationsmöglichkeiten ein, was die Lektüre umso nachhaltiger wirken lässt.

Mit dem ersten Band der im Secession Verlag erschienenen und mit einem umfangreichen Nachwort versehenen Werkausgabe gilt es, einen bemerkenswerten Autor zu entdecken, dessen Sprache und Stilmittel in der Fülle der Neuerscheinungen eine wahre Bereicherung darstellen.

Axel Vits, Köln