Zum Buch:
Am Abend des Tages, als halb Europa mit schwarzen Brillen die Sonnenfinsternis von 1999 bewundert, stirbt in einem Tunnel auf der Autobahn eine Familie. Nur der jüngste Sohn Yves überlebt, wie durch ein Wunder nur leicht verletzt. Die Psychologin Eliane Hess, alleinerziehende Mutter zweier halbwüchsiger Töchter, wird mitten in der Nacht zu ihm gerufen; als Traumaspezialistin soll sie beurteilen, was man dem Jungen, der die Tragödie nicht zur Kenntnis zu nehmen scheint, wann und wie über den Tod seiner Angehörigen sagen sollte. Eliane geht das Schicksal des Jungen mehr zu Herzen, als die professionelle Distanz erlaubt, und sie beschließt, entgegen allen Vorschriften, Yves zunächst mit nach Hause zu nehmen. Aus Yves Erzählungen setzt sich nach und nach das Bild einer schwer gestörten, unglücklichen Familie zusammen, und es scheint nicht unwahrscheinlich, dass der Unfall kein Zufall war. Elianes Arbeit mit dem Jungen findet ihr Ende, als das Jugendamt ihn gegen ihren dringenden Rat bei dessen Tante unterbringt. Aber das lässt sich Yves nicht gefallen
Soweit die Geschichte, die erzählt wird, deren Wucht aber aus der Art entsteht, wie sie erzählt wird. Lukas Hartmann ist ein Meister des Unausgesprochenen, der Umrisse, die der Leser selbst auszufüllen glaubt, ohne so recht zu merken, wie präzise er gelenkt wird. Indem er von Yves und dessen verzweifelter Familie spricht, legt er Schicht um Schicht die Abgründe in Elaines eigener Familie offen, ohne sie je direkt darzustellen. Man folgt Lukas Hartmann zunehmend gebannt durch die Entfaltung von Trauma und Verlust, Familiensehnsucht und Familienelend und landet schließlich mit den Protagonisten erstaunt, erschreckt und verzaubert in Colmar vor dem Isenheimer Altar, Inbegriff des Schreckens und der Erlösung. Finsteres Glück ist ein ungewöhnliches, wunderbares Buch, das mir noch lange nachgegangen ist.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main