Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Hašek, Jaroslav

Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg

Untertitel
Aus dem Tschechischen von Antonín Brousek
Beschreibung

Ja, die Zeiten ändern sich. Wurde 1926 dem Leser noch die Bedeutung des Wortes „Gorgonzola“ („Käse, nach dem italienischen Ort Gorgonzola benannt“) erklärt, braucht der zeitgenössische Leser nach Meinung des Übersetzers eine Erläuterung des Wortes „Dreifaltigkeit“ („Gottvater, Christus und Heiliger Geist). Aber nicht nur deshalb ist eine Revision von Jaroslav Hašeks Klassiker „Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg“ ebenso notwendig wie erfrischend. Antonín Brousek hat in diesem Jahr eine gut begründete und klug kommentierte Neuübersetzung vorgelegt und setzt damit den vielen Veröffentlichungen zum sich jährenden Ersten Weltkrieg die Bierschaumkrone auf.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Reclam Verlag, 2014
Format
Gebunden
Seiten
1008 Seiten
ISBN/EAN
978-3-15-010969-4
Preis
29,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Jaroslav Hasek (1883 – 1923), der Schöpfer des braven Soldaten Schwejk, war wie sein weltberühmter Held ein Prager Original. Er durchwanderte von 1903 bis 1907 ganz Mitteleuropa. Wie Schwejk handelte er eine Zeitlang mit Hunden und war Soldat der k.u.k. Armee. 1915, an der Ostfront, desertierte er und wurde des Hochverrats angeklagt. Er war Kommissar in der Roten Armee. Viermal glaubte man, er sei tot. Er gründete die “Partei des gemäßigten Fortschritts in den Grenzen des gesetzmäßig Erlaubten” und hielt über tausend Wählerversammlungen ab. Und er war dafür bekannt, daß er gern redete und sehr viel trank. Sein braver Soldat Schwejk wurde zum Sinnbild des Widerstandes gegen jegliche Obrigkeit.

Zum Buch:

Wider das „Böhmakeln“ – Revision eines Klassikers

Ja, die Zeiten ändern sich. Wurde 1926 dem Leser noch die Bedeutung des Wortes „Gorgonzola“ („Käse, nach dem italienischen Ort Gorgonzola benannt“) erklärt, braucht der zeitgenössische Leser nach Meinung des Übersetzers eine Erläuterung des Wortes „Dreifaltigkeit“ („Gottvater, Christus und Heiliger Geist). Aber nicht nur deshalb ist eine Revision von Jaroslav Hašeks Klassiker „Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg“ ebenso notwendig wie erfrischend. Antonín Brousek hat in diesem Jahr eine gut begründete und klug kommentierte Neuübersetzung vorgelegt und setzt damit den vielen Veröffentlichungen zum sich jährenden Ersten Weltkrieg die Bierschaumkrone auf.

Der Übersetzer und Herausgeber Brousek hat den Text um einen umfangreichen und zumeist sehr hilfreichen Kommentarteil ergänzt – besonders für das den meisten Lesern wohl kaum geläufige militärische Vokabular. Zum Teil sind die Anmerkungen wesentlich für das Verständnis einer Situation, manchmal aber ist es einfach nur interessant zu erfahren, was es mit der Briefmarke aus Helgoland auf sich hat, auch wenn man der Anekdote Švejks auch ohne dieses Wissen hätte folgen können.

Das Nachwort ist Jaroslav Hašeks Leben und Werk, dem „Švejk“ und seiner Wirkungsgeschichte gewidmet. Er entwirrt die Parallelen und Differenzen zwischen der Biographie des Autors und der Fiktion und entwirft das Bild des Mannes Hašek, der schon als junger Mann Švejk in seiner Trinkfestigkeit in nichts nachstand und sich sein Leben in Prager Kneipen und Lokalen durch das Schreiben finanzierte. Außerdem vermittelt er dem Leser einen Eindruck des Autors Hašek, der „quasi im Vorbeigehen Bleibendes hinterließ“ und auf der Seite der tschechischen Anarchisten gegen die Deutschen, die Monarchie und die katholische Kirche wetterte. Am Ende des Bandes steht die autobiographische Liebeserklärung „Zum Švejk: Eine Pilgerreise böhmischer Art. Drei kurze Ausflüge in eine tschechische hospoda und auf einen kleinen Friedhof“ von Jaroslav Rudiš. Darin versucht der inzwischen auch in Deutschland bekannte Autor in quasi Švejk’schen Anekdoten zu vermitteln, was der Švejk dem Tschechen wirklich bedeutet.

„Hier endet das von Jaroslav Hašek diktierte Manuskript. Er starb am 3. Januar 1923 im Alter von 39 Jahren.“ Mit diesen Worten endet Brouseks Übersetzung – in der Übersetzung von Grete Reiner war Hašek noch 40 Jahre alt geworden. Die Unterschiede der beiden Übersetzungen aber sind gewichtigerer Natur als die Differenz bei der Errechnung von Hašeks Lebensalter. Folgt man dem Übersetzer und Herausgeber Antonín Brousek, ist der eigentliche Charakter des Textes dem deutschsprachigen Leser in der Übersetzung Grete Reiners von 1926 verborgen geblieben.

Hašeks Innovation bestand darin, in seinem Werk die Umgangssprache ins Zentrum zu stellen. Um die umgangssprachliche Rede im Tschechischen auch in der Übersetzung kenntlich zu machen, habe sich Reiner dazu entschlossen, die gesprochene Sprache – im tschechischen Original informelle, aber vollkommen korrekte Umgangssprache – durch „Prager Deutsch“, auch „Böhmakeln“ genannt, zu übersetzen. Die Rede erhalte dadurch, so Brousek in seinem Nachwort, einen lächerlichen Charakter, die sie im Original gar nicht habe. Hier wirkten im Gegenteil die Deutschen lächerlich bei ihrem Versuch, Tschechisch zu radebrechen. Reiner habe darüber hinaus in ihrer Übersetzung „Bohemismen und veraltete[] Austriazismen“ verwendet, „die der tschechische Text eigentlich nicht nahelegt. Beispiele dafür wären ‚Schmetten‘ für ‚Sahne‘ […], ‚Kuschen‘ für ‚Fresse‘ […].“ Sie habe besonders grob despektierliche Äußerungen über Deutsche einfach ausgelassen – und ganz abgesehen davon seien ihr Fehler unterlaufen, die auf einem falschen Verständnis des Tschechischen beruhten.

In der alltäglichen Rede des Švejk und seiner Kameraden klingt in der Übersetzung Brouseks nun zuweilen die heutige Umgangssprache an. So schimpft Kunert über Leutnant Dub „Ich hab den echt bis zum Hals.“ ( im Original heißt es wörtlich übersetzt „Ich hab ihn schon bis zum Hals“und Reiner übersetzt „Ich hab ihn schon bis zum Hals satt). An anderer Stelle übersetzt Reiner „Neplač, neřvi“ wörtlich mit „Wein nicht, heul nicht“, Brousek hingegen mit „Heul hier nicht rum“). Brousek greift bei der Übersetzung der umgangssprachlichen Rede häufig auf deutsche Dialekte zurück. So ist Švejk bei ihm „deppert“ und nicht einfach „idiotisch“ wie bei Reiner oder schlicht „dumm“ wie das „pitomý“ des Originals Überambitioniert wirkt dieses Verfahren dann, wenn Brousek Ausdrücke verwendet, die er mit einer Anmerkung erklären muss. So übersetzt er „mamlas“ („Trottel“ oder „Lümmel“) mit „Flitzpiepe“ – vielleicht um die unterschiedlichen Nuancen von „Lümmel“ und „Trottel“ in einem Wort ausdrücken zu können. In der Anmerkung allerdings gibt er nur die eine Bedeutungsrichtung an, wenn er das Wort mit „(berlinerisch) ungeschickter Trottel“ erklärt. Reiner hatte einfach „Tolpatsch“ übersetzt).

Das Problem der Mehrsprachigkeit wird im Roman selbst immer wieder zum Thema. Die Sprache der Militärs ist Deutsch, und natürlich spiegelt die Sprache die Machtverhältnisse wieder. So wettert etwa der Fähnrich Dauerling in der Beschreibung des Einjährigfreiwilligen Marek: „Da hätten die Herren römischen Offiziere dumm geschaut, wenn ihre Mannschaft etrurisch gesprochen hätte. Auch ich möchte, dass ihr alle auf Deutsch antwortet, und nicht in diesem euren Kauderwelsch“. Oberleutnant Lukáš dagegen betrachtet sein Tschechentum als Laster, dem man nur heimlich frönt, wenn er etwa zu seinen Schülern in der Einjährigfreiwilligenschule sagt: „Wir wollen Tschechen sein, aber es sollte keiner davon wissen. Ich bin auch Tscheche“. Subversiv gegenüber den deutschen und österreichischen Militärs wird das Tschechische, wenn absichtlich falsch übersetzt wird. So nennt Švejk einen Feldwebel frech „miláček“ („Liebling“). Auf Nachfrage des Feldwebels übersetzt ein Soldat: „‚Milatschek‘, das ist wie ‚Herr Feldwebel‘“ .(Auch die Sprachen anderer österreich-ungarischer Territorien wie Serbisch oder Ungarisch mischen sich im Wirtshaus unter die tschechischen und deutschen Stimmen. Spätestens beim dritten Bier aber funktioniert die Verständigung mit allen einwandfrei.

Im Militärkrankenhaus wird Švejk von der Baronin von Botzenheim besucht. Sie spricht mit ihm radebrechend tschechisch. Neben Grammatikfehlern und ihrer parataktischen Ausdrucksweise gibt Hašek auch die Unbeholfenheit der Baronin beim Umgang mit den Schwierigkeiten der tschechischen Phonetik und der richtigen Betonung wieder. Grete Reiner übersetzt das fehlerhafte Tschechisch der Baronin in einer Mischung aus tschechischen Worten und fehlerhafter deutscher Grammatik, was wohl so klingen soll, als spreche ein Tscheche schlechtes Deutsch. An anderen Stellen verzichtet Reiner ganz darauf, die Besonderheit der Sprachverwendung explizit oder implizit zu kennzeichnen. Brousek hingegen übersetzt die Passagen, in denen Deutsche fehlerhaft Tschechisch sprechen, mit phonetisch und grammatikalisch abweichendem Deutsch einzig, um eine Abweichung von der Standardsprache, nicht aber eine bestimmte, regional zu verortende Sprechweise zu markieren. Darüber hinaus weist Brousek in seinen Anmerkungen stets darauf hin, wie eine solche Sprechweise auf einen tschechischen Muttersprachler wirkt.

Antonín Brousek hat sich selbst die Aufgabe gestellt „den Text in ein Deutsch zu übertragen, das genauso modern und unauffällig-umgangssprachlich ist wie das Tschechisch des Originals. […] Der Roman soll in seiner deutschen Neufassung auch dem deutschen Leser ermöglichen, zu erkennen, was dem Original durchgehend gelingt, dass nämlich die Lektüre des Švejk glücklich machen kann.“ Das ist ihm ohne Frage gelungen.

Alena Heinritz, Mainz