Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Haslinger, Josef

Jáchymov

Untertitel
Roman
Beschreibung

Sie begegnen sich zufällig: der Verleger und die Tänzerin. Er sucht Heilung im alten Kurhotel von Jáchymov und stößt dabei auf das Grauen dieses Ortes. Die Tänzerin beginnt ihm eine Geschichte zu erzählen, die sie ihr Leben lang begleitet hat. Es ist die Tragödie ihres Vaters. Als Torwart der tschechoslowakischen Eishockey-Nationalmannschaft seit den 1930er Jahren ein Star, konnten ihn seine Erfolge nicht vor der Willkürherrschaft des kommunistischen Regimes schützen. Dann wurde er verhaftet. Man deportierte ihn in die Arbeitslager von Jáchymov, einem Uranbergwerk in einem Tal des Erzgebirges. Nach fünf Jahren wird er amnestiert und als Todkranker entlassen. Seiner Familie bleibt nichts, als ihm beim langsamen Sterben zuzusehen.

Verlag
Fischer Verlag, 2011
Format
Gebunden
Seiten
272 Seiten
ISBN/EAN
978-3-10-030061-4
Preis
19,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman ›Opernball‹, 2000 ›Das Vaterspiel‹, 2006 ›Zugvögel‹. Sein letztes Buch, ›Phi Phi Island‹, erschien im Frühjahr 2007. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien und den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels. 2010 war er Mainzer Stadtschreiber.

Zum Buch:

Titelgebend für Josef Haslingers neues Buch ist ein Ort im tschechischen Erzgebirge. Im Mittelalter war St. Joachimsthal ein bedeutender Ort des Silberbergbaus. Hier wurden die Joachimstaler geprägt, die dem Taler und damit letzthin später auch dem Dollar ihren Namen gaben. Ende des 19. Jahrhunderts konnte Marie Curie aus der Pechblende von St. Joachimsthal das Element Radium isolieren. In St. Joachimsthal entstand auch das erste Radiumheilbad der Welt. Daneben gibt es aber auch die dunkle, kaum bekannte Geschichte des Ortes, die nach dem 2. Weltkrieg begann: Jáchymov war ein tschechischer Gulag, ein Zwangsarbeitslager, in dem politische Häftlinge sich für die sowjetische Atomindustrie zu Tode schufteten. Und politische Gefangene gab es nach der endgültigen Machtübernahme durch die Kommunistische Partei 1948 mehr als genug.

Die Hauptperson in Haslingers Buch ist der legendäre Eishockey-Torhüter Bohumil Modrý. Zweifacher Weltmeister und Idol der jungen tschechischen Nation, wurde er wie der Rest der Mannschaft 1950 wegen Hochverrats und Störung der sozialistischen Staatsordnung zu einer drakonischen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach entsprechenden Gerüchten hatte das kommunistische Regime befürchtet, die erfolgreiche Mannschaft könne von einem Auslandsaufenthalt nicht mehr zurückkehren und so das Land in der Hochphase der Ost-West-Konfrontation blamieren. Mit dem Schauprozess sollte ein Exempel statuiert und gleichzeitig die Bevölkerung eingeschüchtert werden. Modrý wurde von der Staatsmacht zum Rädelsführer erklärt und bekam mit 15 Jahren das härteste Strafmaß. Nach 5 Jahren Zwangsarbeit im Uranbergbau in Jáchymov wurde er zwar amnestiert, aber nicht rehabilitiert. 1963, erst 47-jährig, starb er den qualvollen Tod eines Strahlenopfers.

Die Idee für seinen dokumentarischen Roman, so Haslinger in einem Interview, habe er bei einer Begegnung mit Blanka Modra bekommen, der Tochter des Regimeopfers. „Jáchymov“ ist ein Buch mit vielen Facetten: es ist die spannende Biographie eines aufrechten, frei denkenden Mannes und überragenden Sportlers, ein interessanter Einblick in die Geschichte des tschechischen Eishockeys der 1930er/40er Jahre, aber auch ein Lehrstück in Sachen menschenverachtender stalinistischer Paranoia und ihrer Konsequenzen, nicht allein für die direkt Betroffenen, sondern für die ganze Gesellschaft.

Die Abraumhalden der Uranminen in der Gegend um Jáchymov strahlen übrigens heute noch so stark, dass im Winter kein Schnee auf ihnen liegen bleibt.

Ralph Wagner, Ypsilon, Buchladen & Cafe, Frankfurt