Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Honigmann, Barbara

Chronik meiner Straße

Untertitel
Beschreibung

Seit fast dreißig Jahren lebt Barbara Honigmann in einer ganz gewöhnlichen Straße in Straßburg. In ihrer „Chronik“ schreibt sie über ihre unmittelbare Umgebung. Über die Menschen, die aus allen Teilen der Welt kommen und in einer Art friedlichen Gleichgültigkeit miteinander leben. Nicht immer harmonisch, aber doch fern der großen Konflikte, die auch in Frankreich immer häufiger das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen bestimmen. Sie scheibt über Alltägliches, über Skurriles und Tragisches, über Nachbarschaft und Feindseligkeit, über Katzen und Hunde, über Autos und ihre Besitzer – eine kleine Welt, in der sich die große spiegelt.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Hanser Verlag, 2015
Format
Gebunden
Seiten
160 Seiten
ISBN/EAN
9783446247628
Preis
16,90 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Barbara Honigmann, geboren 1949 in Ost-Berlin, wohin ihre Eltern aus dem Exil zurückgekehrt waren. Sie arbeitete als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1984 lebt sie in Straßburg. Für ihre Romane wurde sie ausgezeichnet: 1994 mit dem Nicolas-Born-Preis, 2004 mit dem Solothurner Literaturpreis, 2011 mit dem Max-Frisch-Preis der Stadt Zürich, 2012 mit dem Elisabeth-Langgässer-Preis und 2015 mit dem Ricarda-Huch-Preis.

Zum Buch:

„Wenn wir sagen, daß wir in der Rue Edel wohnen, antwortet man uns meistens, ach ja, da haben wir am Anfang auch gewohnt.
Unsere Straße scheint also eine Straße des Anfangs und des Ankommens zu sein, bevor man nämlich in die besseren Viertel umzieht …“

So beginnt Barbara Honigmanns „Chronik meiner Straße“. Im Gegensatz zu den anderen sind sie und ihr Mann jedoch in der „Straße des Anfangs“ geblieben, seit sie vor fast dreißig Jahren, damals noch mit den beiden Kindern, nach Straßburg gezogen sind. Auch wenn sie das Haus hässlich, die Straße trist, die Gegend öde fanden: eine „bunte“ Straße war es immer. Die Bewohner kommen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt. In Wellen tauchen Gruppen auf, verschwinden wieder, kommen neue. Inder, Pakistaner, Marokkaner, Asiaten, Juden, Kaukasier, Elsässer und „Innerfranzosen“ leben dort. „Es ruft, redet, spricht, brüllt und schreit in unserer Straße in unzähligen fremden Sprachen … Ein französisches Wort aber gibt es, das zwischen den fremden Worten regelmäßig immer wiederkehrt: merde!“

Honigmann scheibt über das Zusammenleben, die Konflikte, über Skurriles und Tragisches, über Nachbarschaft und Feinseligkeit, über Katzen und Hunde, über Autos und ihre Besitzer. Und darüber, wie sie an diesem Ort ihr Judentum leben kann, inmitten jüdischer Nachbarn, von denen einige der Alten noch Verfolgung und Vernichtung überlebt haben und nun erleben, wie ein neuer Antisemitismus auflebt.

Die meisten Bücher Honigmanns haben einen mehr oder weniger deutlichen autobiografischen Hintergrund. In „Chronik einer Straße“ spricht sie eindeutig von sich und der Welt, in der sie seit den achtziger Jahren lebt. In der sie immer noch fremd ist – ein ihr bekannter Zustand. Fremd fühlte sie sich in der DDR, fremd ist ihr die Mutter geblieben, fremd ist sie durch ihr Judentum. Es scheint, als wäre sie gerade dort, wo sie eindeutig „im Ausland“ ist und ihre Muttersprache nicht sprechen kann angekommen. Als müsse sie hier nicht mehr danach suchen, wer sie ist und wie sie leben will und kann. In dieser bunt zusammengewürfelten Gesellschaft ist sie eine Fremde unter allen anderen Fremden und darin genauso zu Hause wie diese. Vielleicht ist es das, was den leichten und gelassenen Tonfall dieses Buches ausmacht.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt