Zum Buch:
„Wenn wir sagen, daß wir in der Rue Edel wohnen, antwortet man uns meistens, ach ja, da haben wir am Anfang auch gewohnt.
Unsere Straße scheint also eine Straße des Anfangs und des Ankommens zu sein, bevor man nämlich in die besseren Viertel umzieht …“
So beginnt Barbara Honigmanns „Chronik meiner Straße“. Im Gegensatz zu den anderen sind sie und ihr Mann jedoch in der „Straße des Anfangs“ geblieben, seit sie vor fast dreißig Jahren, damals noch mit den beiden Kindern, nach Straßburg gezogen sind. Auch wenn sie das Haus hässlich, die Straße trist, die Gegend öde fanden: eine „bunte“ Straße war es immer. Die Bewohner kommen aus den unterschiedlichsten Teilen der Welt. In Wellen tauchen Gruppen auf, verschwinden wieder, kommen neue. Inder, Pakistaner, Marokkaner, Asiaten, Juden, Kaukasier, Elsässer und „Innerfranzosen“ leben dort. „Es ruft, redet, spricht, brüllt und schreit in unserer Straße in unzähligen fremden Sprachen … Ein französisches Wort aber gibt es, das zwischen den fremden Worten regelmäßig immer wiederkehrt: merde!“
Honigmann scheibt über das Zusammenleben, die Konflikte, über Skurriles und Tragisches, über Nachbarschaft und Feinseligkeit, über Katzen und Hunde, über Autos und ihre Besitzer. Und darüber, wie sie an diesem Ort ihr Judentum leben kann, inmitten jüdischer Nachbarn, von denen einige der Alten noch Verfolgung und Vernichtung überlebt haben und nun erleben, wie ein neuer Antisemitismus auflebt.
Die meisten Bücher Honigmanns haben einen mehr oder weniger deutlichen autobiografischen Hintergrund. In „Chronik einer Straße“ spricht sie eindeutig von sich und der Welt, in der sie seit den achtziger Jahren lebt. In der sie immer noch fremd ist – ein ihr bekannter Zustand. Fremd fühlte sie sich in der DDR, fremd ist ihr die Mutter geblieben, fremd ist sie durch ihr Judentum. Es scheint, als wäre sie gerade dort, wo sie eindeutig „im Ausland“ ist und ihre Muttersprache nicht sprechen kann angekommen. Als müsse sie hier nicht mehr danach suchen, wer sie ist und wie sie leben will und kann. In dieser bunt zusammengewürfelten Gesellschaft ist sie eine Fremde unter allen anderen Fremden und darin genauso zu Hause wie diese. Vielleicht ist es das, was den leichten und gelassenen Tonfall dieses Buches ausmacht.
Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt