Zum Buch:
Der Tod seines Vaters löst bei dem frisch geschiedenen Psychiater Erik Davidsen eine Midlife-Krise aus. Um sich aus seiner Depression zu befreien, ordnet er den Nachlass des Vaters und liest dessen Tagebücher und Briefe. Dabei stößt er auf Reflexionen und Namen, die ihm bislang unbekannt waren. Gemeinsam mit seiner Schwester, die noch um ihren vor kurzem verstorbenen Mann trauert, versucht er, die unbekannten Personen aufzuspüren, die im Leben seines Vaters eine Rolle gespielt haben. Er verliebt sich in seine attraktive westindische Untermieterin Miranda und versucht, über ihre muntere fünfjährige Tochter an sie heranzukommen. Damit gerät er ins Visier des mysteriösen Fotografen, der Miranda verfolgt. Gleichzeitig wird seine Schwester von einer rätselhaften Unbekannten belästigt.
Hustvedt schickt ihre Protagonisten in einer ungreifbar und unverständlich gewordenen Welt auf die Suche nach ihren Wurzeln, zurück zu den norwegischen Einwanderern, die als Bauern nach Amerika kamen und in der Depression ihr Land verloren. Es ist ein schwerblütiges Milieu, das auch die gut situierten Nachkommen noch wesentlich prägt. Die Autorin arbeitet gewohnt intelligent und klug die Themen ab, die für das heutige Amerika prägend waren, vom zweiten Weltkrieg über den Rassismus bis zum 11. September, aber gelegentlich entsteht der Eindruck, dass gerade diese thematische Fülle das Buch aus dem Gleichgewicht wirft. Dafür entschädigen aber immer wieder brillante, atmosphärisch dichte Portraits und erhellende Einblicke in die Befindlichkeiten der gebildeten New Yorker Mittelschicht. Wenn auch nicht so überzeugend wie Was ich liebte, ist Die Leiden eines Amerikaners ein sehr lesenswertes Portrait eines amerikanischen Milieus, das seine alten Gewissheiten ein für alle Mal verloren hat.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main