Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
James, Henry

Überfahrt mit Dame

Untertitel
Eine Salonerzählung. Aus dem Englischen von Alexander Pechmann
Beschreibung

Von Henry James, dem großen Erzähler des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind auf dem deutschen Buchmarkt nur sehr wenige Titel in ziemlich angestaubten Übersetzungen lieferbar. Umso erfreulicher ist es, wenn im Aufbau Verlag nun eine Erzählung erschienen ist, die hierzulande noch nie zu lesen war:

Eine Schiffspassage, eine nicht mehr ganz junge Frau auf dem Weg zu ihrem Verlobten, ein charmanter, eitler, sehr junger Mann und eine kleine Gruppe von Menschen, deren alltägliches Vergnügen Klatsch und Intrigen sind. Das sind die Zutaten, aus denen James auf wenigen Seiten mit leichter Hand und großer Meisterschaft ein Gesellschaftspanorama der viktorianischen Zeit und das Schicksal einer Frau entwirft.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Aufbau Verlag, 2013
Format
Gebunden
Seiten
175 Seiten
ISBN/EAN
9783351035297
Preis
16,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Henry James (1843 – 1916), in New York City geborener Sohn aus wohlhabender Familie, genoss eine kosmopolitische Erziehung. Er studierte Jura in Harvard und ging 1875 als Korrespondent nach Paris, wo er Bekanntschaft mit Flaubert und Turgenev schloss. Später zog er nach England und wurde 1915 unter dem Eindruck des Weltkrieges britischer Staatsbürger. Er schrieb zwanzig Romane, Theaterstücke, Reiseberichte, Essays und über hundert Erzählungen, die ihm zu Lebzeiten Ruhm und Anerkennung eintrugen. Die Begegnung von Amerikanern mit Europa war Henry James’ Lebensthema. Mit seiner scharfen Beobachtungsgabe und seinen kunstvollen Bewusstseinsschilderungen gilt er als Meister des psychologischen Romans.

Zum Buch:

Es ist ein heißer Sommer. Langsam gleitet der behäbige Dampfer „Patagonia“ durch das ruhige Meer von Boston nach Liverpool. An Deck sind der Erzähler, seine alte Freundin Ms. Nettlepoint und deren Sohn Jasper, ein gut aussehender, äußerst selbstbewusster junger Mann. Der kleinen Gruppe hat sich Grace Mavis angeschlossen. Sie kommt, im Gegensatz zu den anderen, aus einer verarmten Familie und hat sich nach dem Tod ihres Vaters entschlossen, ihren langjährigen Verlobten zu heiraten, einen eher erfolglosen Künstler, den sie kaum kennt. Sie hat sich in Ms. Nettlepoints Obhut begeben, da es für eine junge Frau unschicklich wäre, allein zu reisen.

Ms. Nettlepoint pflegt Schiffreisen allerdings ausschließlich in ihrer Kabine zu verbringen, und so ist es der charmante Jasper, der sich ausgiebig um die nicht mehr ganz junge Frau auf ihrem Weg in eine eher trübselige Ehe kümmert. Das Schiff ist langsam, das Meer langweilig – was also gibt es für die anderen Reisenden Interessanteres, als die beiden ausgiebig zu beobachten und ihr Benehmen zu kommentieren. Was als Interesse beginnt, wird schnell zum Klatsch. Jeder spekuliert, wie schicklich oder nicht Miss Mavis sich benimmt. Immer dichter wird das intrigante Netz aus übler Nachrede, und man weiß nicht, was schlimmer ist: das wohlmeinende Desinteresse der ihren Sohn vergötternden Ms. Nettlepoint oder die offene Niedertracht einer Ms. Peck, die ständig darüber nachsinnt, wie man dem Verlobten, der Miss Mavis in Liverpool abholen wird, das skandalöse Tun entdecken soll – bis es zur Katastrophe kommt.

Die Geschichte ist einer wahren Begebenheit nachgebildet, die James erzählt wurde. Eine zweite Vorlage war Anthony Trollopes Erzählung „Eine Reise nach Patagonia“, die ein ähnliches Sujet beschreibt, jedoch eine andere Wendung nimmt, und die der Verlag in das Buch mit aufgenommen hat.

„Überfahrt mit Dame“ ist ein kleines Juwel. Leicht dahingetupft kommt die Erzählung daher, aber man merkt sehr schnell, wie doppelbödig jeder Satz ist. So banal die Handlung anmutet, so vielschichtig ist die Sprache, zumal diese mehr weglässt als erzählt. James erklärt die Motive seiner Personen nicht, und in dieser Unklarheit bleibt dem Leser viel Raum für eigene Interpretationen. Das ist wirklich meisterhaft.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt