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Freundschaft, Familie, Nation: Diese drei Bereiche unseres Lebens formen den Begriff des Wir, so die These, die Michael Köhlmeier seinem Essay voranstellt. Doch was genau meint ein Wir im Kontext von Freundschaft oder Familie? Wie instrumentalisieren Nationen das Wir? In mäandernden Annäherungen, klugen Fragen und blitzlichternden Gedanken zeichnet Köhlmeier ein Vexierbild des Wir, das auch eigenen Assoziationen Raum lässt.
Wortbetrug oder auch Begriffswäsche sind mit im Spiel, wenn Nationalisten die Wärme, die das Wir der Heimat ausstrahlt, auf die abstrakte Größe der Nation übertragen. „Das Wir der Heimat bestimmt, wer dazugehört; das Wir der Nation, wer nicht dazugehört. Die Heimat schließt ein, die Nation schließt aus.“
Doch gibt es überhaupt ein Wir aller Menschen? Können wir das Wir wollen oder ist es naturgegeben? Ein Produkt der Kultur vielleicht? Köhlmeier bezieht im Fragen wie im Antworten Gedanken von Michel de Montaigne und Ralph Waldo Emerson mit ein. Keiner der beiden Philosophen legt in seinen Schriften Begriffe unwiderruflich fest, und das mag einer der Gründe sein, warum sie und ihre Bücher Köhlmeier zu Freunden geworden sind. Das Wir in der Freundschaft wird in seinem Essay übrigens zu einem durchaus bedenkenswerten Moment. Denn wann meint dieses Wir zwei Menschen auf Augenhöhe? Ist in Freundschaften nicht immer wieder der eine oder der andere in der Position des Überlegenen?
Was lässt sich noch alles in der Fülle des Wir fassen? Wir bedeutet alles, was nicht fremd ist. Wenn ein Wir zum Zwang wird – in einer Familie kann dies schnell geschehen – wird die Abgrenzung vom Wir gleichermaßen qualvoll wie überlebensnotwendig. Von großer Leichtigkeit und Intensität ist das Wir, das aus einer gemeinsamen Tätigkeit wie etwa dem Musizieren erwächst. Und überaus schmerzhaft kann ein Wir sein, wenn es den gemeinsamen Verlust eines geliebten Menschen miteinschließt.
Michael Köhlmeier ist dies geschehen, er spricht es aus, gibt sich in diesem Essay immer wieder zu erkennen. Damit relativiert er seine Gedanken zum Wir, macht sie zu persönlichen Beobachtungen – die deswegen nichts von ihrer Klugheit und Relevanz einbüßen – und fordert zum Weiterdenken auf. Unruhe bewahren meint nichts anderes als das.
Susanne Rikl, München