Zum Buch:
Ein Klassiker der französischen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts, der samt Autor in Vergessenheit geraten ist, präsentiert in wunderschöner, bibliophiler Ausgabe. Erschienen ist dieser feine Band im Lilienfeldverlag, der dieses Jahr den Kurt Wolff-Förderpreis für seinen Spürsinn und die Sorgfalt in der Buchgestaltung erhielt.
Silbermann ist Jude. Er kommt, weil er eine Klasse übersprungen hat, nach den Sommerferien in die Obertertia, in die auch der Junge eingeteilt wird, der diese Geschichte erzählt. Von vorne herein ist klar, dass Silbermann Außenseiter sein wird. Und das nicht nur aufgrund seines Glaubens. Er biedert sich bei den Lehrern an, ist tatsächlich aber auch interessierter, fleißiger und belesener als alle anderen Schüler. Mit seiner Begeisterung für die französische Literatur steckt er den jungen Erzähler an. Der bleibt bis zum Ende des Romans namenlos, ein fünfzehnjähriger Repräsentant einer gutbürgerlich protestantischen Gesellschaftsschicht. Der Vater ist Untersuchungsrichter mit Aussicht auf Karriere, die Mutter engagiert in der Gesellschaft, um die Aufstiegschancen ihres Mannes zu erhöhen und dem Sohn den Weg in die gehobene Gesellschaft zu ebnen. In der Schule eskalieren im Lauf des Romans die Angriffe auf Silbermann, vor allem die Söhne katholisch konservativer Adelsfamilien, aber auch einer der früheren guten Freunde des Erzählers aus gut situiertem katholischen Hause setzen alles daran, Silbermann zu vernichten. Als Silbermanns Vater vor Gericht kommt und der Vater des Erzählers vorsitzender Richter der Verfahrens wird, spitzt sich der innere Konflikt des Jungen zu, der bis dahin treu und ergeben zu Silbermann gehalten hat.
Die Milieus, aus denen die Jugendlichen in diesem hochliterarischen Roman stammen, mögen ein wenig stereotyp angelegt anmuten, die inneren Bewegungen der Jungen dagegen sind überaus fein gezeichnet. Eine Bemerkung noch zum Schluss: Der Antisemitismus bildet in diesem literarischen Roman des frühen 20. Jahrhunderts einen Motor der Handlung. Und es ist in diesem Zusammenhang ein großer Unterschied, ob man “Silbermann” als einen französischen Roman über den Antisemitismus oder als französischen Antisemitismus-Roman bezeichnet. Der Leser mache sich hier am besten selbst sein Bild.
Susanne Rikl, München