Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Mackenbach, Werner

Papayas und Bananen

Untertitel
Erotische und andere Erzählungen aus Lateinamerika. Aus dem Span. u. Engl. von Werner Mackenbach
Beschreibung

Keine Utopien mehr, die Revolution ist vorbei. Ausgehöhlt, sinnentleert sind die Ideale von einst, und die ehemaligen Revolutionäre, vor allem aber die nachfolgende Generation, die das Hohelied der Solidarität nur noch als Legende kennt, wendet sich anderen Stoffen, anderen Motiven zu.

Verlag
Brandes & Apsel 2002
Format
Kartoniert
Seiten
231 Seiten
ISBN/EAN
978-3-86099-491-7
Preis
19,90 EUR

Zum Buch:

An erster Stelle steht bei den Erzählern und Erzählerinnen aus Guatemala, Belize und Nicaragua, El Salvador, Honduras, Costa Rica und Panama nun, wie Werner Mackenbach, der Herausgeber, in seinem Vorwort schreibt, die Suche nach der Identität, aber auch die Suche nach dem Ort des Individuums – nicht nur in einem Geflecht von Beziehungen, sondern auch in einer Umwelt, in der die Beliebigkeit der Werte an die Stelle des gemeinsamen Kämpfens gegen die Diktatur getreten ist. Betulich analysiert jedoch wird in keiner der 33 Erzählungen, nirgendwo trifft man auf eine langweilige Nabelschau, in der das Ich allein um das Ich kreist, sondern wie ein Feuerwerk von Ideen in Bildern von durchdringenden, strahlenden Farben wirken viele der Geschichten dieses Bandes. Ausgezeichnet sind die Übersetzungen aus dem Spanischen und Englischen, die – mit einer Ausnahme – vom Herausgeber selbst stammen. Durch die alphabetische Anordnung der Autoren und Autorinnen entsteht so etwas wie eine Gleichwertigkeit der Geschichten, keine Rangfolge nach Zeit, Nation oder Alter der Verfasser/-innen trübt den Blick der Lesenden. Allen Erzählungen gemeinsam ist eine enorme Intensität des Erlebens, des Empfindens, selten durch Reflexionen getrübt. Oft geht es um große Erwartungen und herbe Enttäuschungen, die zu tiefer Schwermut führen, zu einer Schwermut, die sich Leserinnen und Lesern ganz direkt mitteilt. Materielle Not, Armut und Elend zwingen die Frauen zur Prostitution, und die Männer ertränken ihren Kummer im Alkohol. Sexuelle Treue, Verrat und Betrug spielen eine Rolle, aber ein immer wiederkehrendes Thema ist auch der Verlust der Erinnerungen, die Unfähigkeit, sich auf die eigene – wie die kollektive – Vergangenheit zu besinnen. Drei Erzählungen sind es, die einen besonders starken Eindruck hinterlassen: Die Geschichte vom unfreiwilligen Kobold, der wegen seiner zwergenhaften Gestalt beim Zirkus landete, dort eine Zwergin kennen und lieben lernte, darunter litt, als sie, schwanger, zu einer außerordentlichen Attraktivität wurde, die um so mehr Zuschauer anzog – und bei der Niederkunft starb. Hier wird vom unsagbaren Schmerz einer Ausgrenzung berichtet, aus dem Munde des Ausgegrenzten, der nur unter Aufbietung aller ihm verbliebenen inneren Energien überlebt. Half time-Helden heißt diese Geschichte von Justo Arroyo aus Panama, und erzählt wird sie aus der Rückschau: Am Tresen einer Bar begegnen sich ein Mann, der fast zwei Meter misst, ein Riese, und der Kobold, der seine Existenz einst darauf gründen musste, dass er zum Gespött der Leute im Zirkus wurde. Die Ich-Erzählerin in Patricia Bellis Geschichte Narben wird einen Moment lang in die Unendlichkeit entführt, in ein kaum vorstellbares, erträumtes Liebesschweben, und stürzt jäh in den Stumpfsinn, in die Banalität des Alltags ab, als ihr Liebhaber sich die Flügel mit einem Schwerthieb abtrennt – nur die Narben, die zurückbleiben, erinnern noch daran, dass es ein Leben jenseits der Realität geben kann. In vielen der Geschichten verschwimmen die Bewusstseinsebenen, gehen Reales und Erträumtes ineinander über, manches spielt sich nur im Kopf der fiktiven Personen ab, wie in MAMA KELLER blues, der einzigen Erzählung des Bandes mit deutlich experimentellem Charakter. Jacinta Escudos aus El Salvador hat hier den inneren Monolog einer Tochter gestaltet, die sich an ihrer Mutter rächt. Sie wirft der Mutter vor, dass diese den Vater verließ und ihre Rückkehr nur aus Berechnung geschah, damit sie nach dem Tod ihres Mannes in den Genuss des Erbes käme: “nur deshalb wolltest du aus Europa herüberkommen in diese schmutzige und heiße tropische stadt der dritten welt, der vierten welt, der letzten aller welten”. Assoziativ werden hier die Gedanken der Tochter aneinander gereiht, wird ihre Lebensgeschichte erzählt, die Rückkehr der Mutter, das Verzeihen des Vaters – und dann der Betrug, den die Mutter an der Tochter begeht, indem sie mit deren Freund eine Beziehung eingeht. Es ist nicht nur eine Beliebigkeit der Werte, um die es in vielen der Geschichten des Bandes geht, sondern oft auch, wie hier, eine Perversion tradierter Wertvorstellungen. Moralisiert allerdings wird nicht, nichts wird gefordert, nichts eingeklagt, sondern oft scheint es so, als ob die Beschreibung, das Erzählen vom Chaos der Beziehungen inmitten materieller Unsicherheit und ungewisser Zukunft distanziert, wenn nicht abgebrüht vonstatten geht. Wer Unsägliches erlebt hat, erwartet kaum noch Änderungen, kaum Verbesserung der Zustände. Monika Carbe (Listen)