Zum Buch:
Marsés Geschichten beginnen idyllisch: Der fünfte Geburtstag des Töchterchens steht bevor, eine ehrgeizige junge Friseuse ergreift die Chance ihres Lebens, ein verliebtes Pärchen besichtigt eine Burg, eine Tochter bereitet den Vater schonend auf ihre baldige Hochzeit vor, ein Unfall im Haushalt geht glimpflich aus. Dass die Idylle trügt, kann man sich zwar denken, aber wie die Autorin ihren Protagonisten den Boden unter den Füßen wegzieht, den gewohnten Alltag demontiert und scheinbar feste Selbstbilder krachend zusammenstürzen lässt, das ist wirklich atemberaubend. Man muss die Geschichten zweimal lesen, wenn man erkennen will, wie kunstvoll die Autorin die Risse in der scheinbar heilen Welt ihrer Figuren einführt, die unerbittlich zum Erdbeben führen. Marsés, von Angelica Ammar hervorragend übersetzte, Kurzgeschichten sind bei aller Lockerheit im Ton streng durchgearbeitete kleine Kunstwerke, in denen kein Wort zuviel ist und deren immer überraschendes Ende nachhaltig beeindruckt.
Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main