Zum Buch:
Olga Martynova und Elke Erb haben uns mit diesem Band ein Sommergeschenk gemacht: In Martynovas Lyrik kann man Sprache pur und Gedichte als Melodien erleben. Jedes für sich ist von eigenem Charakter: ernst, melancholisch, frech, zerrissen, sehnsüchtig, lachend und kopfschüttelnd, absurd, gegurrt – man lässt sich anstecken von dieser Sprachmusik und kann plötzlich mühelos in den schmalen, oft unsichtbaren Riss zwischen Sinn und Unsinn gleiten, in dem Freiheit und Phantasie zu Hause sind.
Zwischen den schön gestalteten Buchdeckeln des Bandes verbirgt sich mehr, als der Titel verrät. In einem ersten Teil versuchen Tschwirik und Tschwirka, die vogelartigen, extraterrestrischen Wesen, unsere Welt zu verstehen. Ein zweiter Teil blickt zurück auf Alexander Wwedenskij (1904-1941) und mit ihm auf die dichterische Vergangenheit von Leningrad/St. Petersburg, der Heimatstadt Olga Martynovas. Der dritte Teil, die “Verse von Rom”, ist eine Hommage an die Freundin und große russische Dichterin Jelena Schwarz, geboren 1948 in St. Petersburg, die 2010 ebendort starb. Man reist mit diesem Buch durch 100 Jahre Geschichte der St. Petersburger Lyrik.
Ich habe Olga Martynova, die diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin, über ihren ersten Roman, “Sogar Papageien überleben uns” (Droschl 2010), kennen und schätzen gelernt. Der Roman sei noch einmal zur Lektüre empfohlen, er entstand parallel zu den hier edierten Gedichten, “die unlogischsten und absurdesten, die ich je geschrieben habe, weil alles Rationale und Logische in die Prosa ging.” (Martynova, Einleitung “Tschwirik und Twschirka”) Unzählige Anspielungen sind in den Gedichten verborgen, die meisten überliest man wohl, manche erfühlt man, viele Bilder finden selbst in ihrer Absurdität ganz schnell Eingang in das Herz des Lesers. Im Wwedenskij-Zyklus habe ich an den wenigen Anmerkungen der Autorin erkannt, wie viel Gehalt die Gedichte bergen und wie fremd uns Bundesrepublikanern die Welt des verbotenen Sprechens ist. In dieser Welt der Zensur ist Jelena Schwarz aufgewachsen. Dennoch hat sie ihren Zeitgenossen den Stachel ins Fleisch gesetzt, “ohne bequeme Hoffnungslosigkeit zu leben” (Oleg Jurjew, Nachruf auf Jelena Schwarz vom 14. 3. 2010). Das wiederum scheint mir eine Botschaft zu sein, für die mittlerweile auch im Westen ein fruchtbarer Boden bereitet ist.
Susanne Rikl, München