Belletristik

Drucken

Buchempfehlung Belletristik

Autor
Martynova, Olga

Von Tschwirik und Tschwirka

Untertitel
Gedichte. Aus dem Russischen von Elke Erb und Olga Martynova
Beschreibung

Lyrik versucht etwas von dem festzuhalten, was über Menschensprache hinausgeht. Das gilt für Olga Martynovas neuen Gedichtband umso mehr, als Tschwirik und Tschwirka wohl eine Art Vogelsprache sprechen, jedenfalls aus dem »Roman über Papageien« hervorgegangen und einigermaßen überraschend in der Lyrik gelandet sind. Wie der Roman »Sogar Papageien überleben uns« sprechen auch diese Gedichte von der Zeit, von der Vergänglichkeit und von Sinn und Unsinn, Themen, um die das Werk der Oberiuten, der letzten Vertreter der russischen Moderne in den 30er Jahren, kreist – und einem ihrer Protagonisten, Alexander Wwedenskij (1904-1941), ist in diesem Band sogar ein ganzer, zehnteiliger Zyklus gewidmet.
Der Band enthält die drei Teile »Verse von Rom« (geschrieben nach einem gemeinsamen Rom-Aufenthalt mit der Petersburger Dichterin Jelena Schwarz, 2001), »Wwedenskij« und den jüngsten und längsten Zyklus »Von Tschwirik und Tschwirka«.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Literaturverlag Droschl, 2012
Format
Gebunden
Seiten
96 Seiten
ISBN/EAN
9783854208310
Preis
16,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Olga Martynova, 1962 bei Krasnojarsk in Sibirien geboren, wuchs in Leningrad auf, studierte russische Sprache und Literatur; 1991 zog sie nach Deutschland. Sie lebt mit ihrem Mann Oleg Jurjew in Frankfurt/Main.

Sie schreibt Gedichte (auf russisch) und Essays und Prosa (auf deutsch) Mit ihrer Lyrik war Olga Martynova auf der Longlist für den Russischen Preis 2009, mit ihrem Roman-Debüt Sogar Papageien überleben uns (Droschl 2010) kam sie auf die Longlist des Deutschen Buchpreises 2010 und auf die Shortlist des Aspekte-Preises 2010. 2011 erhält sie den Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis der Robert Bosch Stiftung.

Zum Buch:

Olga Martynova und Elke Erb haben uns mit diesem Band ein Sommergeschenk gemacht: In Martynovas Lyrik kann man Sprache pur und Gedichte als Melodien erleben. Jedes für sich ist von eigenem Charakter: ernst, melancholisch, frech, zerrissen, sehnsüchtig, lachend und kopfschüttelnd, absurd, gegurrt – man lässt sich anstecken von dieser Sprachmusik und kann plötzlich mühelos in den schmalen, oft unsichtbaren Riss zwischen Sinn und Unsinn gleiten, in dem Freiheit und Phantasie zu Hause sind.

Zwischen den schön gestalteten Buchdeckeln des Bandes verbirgt sich mehr, als der Titel verrät. In einem ersten Teil versuchen Tschwirik und Tschwirka, die vogelartigen, extraterrestrischen Wesen, unsere Welt zu verstehen. Ein zweiter Teil blickt zurück auf Alexander Wwedenskij (1904-1941) und mit ihm auf die dichterische Vergangenheit von Leningrad/St. Petersburg, der Heimatstadt Olga Martynovas. Der dritte Teil, die “Verse von Rom”, ist eine Hommage an die Freundin und große russische Dichterin Jelena Schwarz, geboren 1948 in St. Petersburg, die 2010 ebendort starb. Man reist mit diesem Buch durch 100 Jahre Geschichte der St. Petersburger Lyrik.

Ich habe Olga Martynova, die diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin, über ihren ersten Roman, “Sogar Papageien überleben uns” (Droschl 2010), kennen und schätzen gelernt. Der Roman sei noch einmal zur Lektüre empfohlen, er entstand parallel zu den hier edierten Gedichten, “die unlogischsten und absurdesten, die ich je geschrieben habe, weil alles Rationale und Logische in die Prosa ging.” (Martynova, Einleitung “Tschwirik und Twschirka”) Unzählige Anspielungen sind in den Gedichten verborgen, die meisten überliest man wohl, manche erfühlt man, viele Bilder finden selbst in ihrer Absurdität ganz schnell Eingang in das Herz des Lesers. Im Wwedenskij-Zyklus habe ich an den wenigen Anmerkungen der Autorin erkannt, wie viel Gehalt die Gedichte bergen und wie fremd uns Bundesrepublikanern die Welt des verbotenen Sprechens ist. In dieser Welt der Zensur ist Jelena Schwarz aufgewachsen. Dennoch hat sie ihren Zeitgenossen den Stachel ins Fleisch gesetzt, “ohne bequeme Hoffnungslosigkeit zu leben” (Oleg Jurjew, Nachruf auf Jelena Schwarz vom 14. 3. 2010). Das wiederum scheint mir eine Botschaft zu sein, für die mittlerweile auch im Westen ein fruchtbarer Boden bereitet ist.

Susanne Rikl, München