Zum Buch:
Der Weihnachtsbaum nadelt, und dabei ist es bereits Mitte Januar. Doch ihn endlich abzubauen, dazu fühlt sich in der Wohnung einer Warschauer Plattenbausiedlung niemand so richtig verpflichtet. Nicht die Mutter, die die meiste Zeit des Tages auf der Couch liegend verbringt und sich ein besseres Leben erträumt. Nicht die Schwester, die das alles kaum noch auszuhalten vermag – und ganz sicherlich nicht Kamil. Der ist bereits 32 Jahre alt, lebt immer noch bei seiner Mutter und will Rapper werden. Dafür muss man nicht unbedingt gut singen, aber mit Sicherheit den Macho heraushängen lassen können, und darin ist Kamil ziemlich gut. Ansonsten geht er einer eher unregelmäßigen Tätigkeit als Klempner nach, wovon er zugegebenermaßen auch nicht besonders viel versteht. Und natürlich verkauft er gelegentlich Drogen.
Eine seiner Kundinnen, Iwona, für die er die leckende Wanne reparieren soll, bezahlt ihn obendrein noch für andere, weitaus intimere Dienste, denn Iwona fühlt sich einsam. Ihr Mann hintergeht sie nach Strich und Faden und kümmert sich kaum um den gemeinsamen Sohn. Auch Iwona träumt davon, aus ihrem Leben auszubrechen, genauso wie ihr Mann, doch das weiß sie nicht, ahnt es nur. Der wiederum sucht sein Seelenheil im Zusammensein mit jener anderen Frau, mit der er bessere und freiere Zeiten durchlebt – und indem er Drogen konsumiert, die er ausgerechnet von Kamil bezieht.
Sie alle müssen sich irgendwann eingestehen, dass ihre Blicke auf das Leben der anderen Leute wie durch einen Spiegel auf sie selbst zurück fielen. Und diese Erkenntnis passt bei weitem nicht jedem.
Dorota Maslowskas aktueller Roman spiegelt ein ungemein lebendiges Kaleidoskop an Charakteren wider, die sich in ihren Anschauungen zwar maßgeblich unterscheiden, die aber dennoch etwas Grundlegendes verbindet: der Wunsch, auszubrechen aus einem von äußeren wie inneren Zwängen bestimmten Leben, das sie eher fristen als genießen.
Dabei bedient sie sich einer drastischen Sprache, die zwischen Sprechgesang und Theatertext schwankt, aber absolut passend, wenn nicht gar nötig ist, um diesen rasanten, mit bitterbösem Humor gespickten Roman so einzigartig zu machen.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln