Zum Buch:
Gleich vorweg, Peter May ist für mich als Krimi-Fan die Neuentdeckung von 2014. Nachdem ich zufällig über die Taschenbuchausgabe „Blackhouse“ gestolpert war, war meine Freude groß, als ich den gerade jetzt in deutscher Übersetzung erschienenen zweiten Band „Beim Leben meines Bruders“ entdeckte. In Zeiten der skandinavischen Krimi-Erfolgsschwemme ist es wohltuend, ein adäquates Pendant zu finden, das einmal nicht die allseits bekannten skandinavischen Landschaften zu Tatorten macht, sondern in die noch nahezu unbekanntere und unerbittliche Natur der Hebriden entführt.
Der Ermittler Fin Macleod ist, wenn es um Ungerechtigkeit geht, wie jene schottische Landschaft, rau und unerbittlich. Allerdings auch nicht ohne Mitgefühl für die Opfer menschlicher Unzulänglichkeit. Die Bilder vom Unfalltod seines Sohnes verfolgen ihn – seine Ehe ist daran zerbrochen. Instinktiv zieht es ihn zurück auf „seine“ Insel, den einzigen Ort, an dem er vielleicht noch existieren kann. Dorthin, wo seine Wurzeln sind und die wenigen Menschen leben, die ihm noch etwas bedeuten.
Mit dem Fund einer Moorleiche wird er jedoch wider Willen in einen Kriminalfall verwickelt. Die Leiche ist keineswegs Jahrhunderte alt, sondern stammt aus jüngster Vergangenheit, und die DNA-Spur führt nicht nur zu Tormod Macdonald, dem an Demenz erkrankten Vater seiner Jugendliebe Marsaili, sie beweist auch, dass die beiden nahe Blutsverwandte sind. Alle Nachforschungen über die Tormods Herkunft enden zunächst im Nichts, denn er trägt den Namen eines Jungen, der vor vielen Jahren auf einer Nachbarinsel verstorben ist und dort begraben liegt. Tormod kann über seine wahre Identität faktisch nichts mehr beitragen –seine Erinnerungen sind getrübt, bruchstückhaft und unzusammenhängend.
Während sich für den Leser die damaligen Ereignisse aus den Erinnerungen Tormods dennoch zu einem Bild fügen, führen Macleods feiner Spürsinn und seine brillante Analyse ihn kreuz und quer über die Hebrideninseln, in die Abgründe der katholischen Kirche, immer tiefer auch in seine eigene Geschichte und schließlich zur Lösung des Falles.
Peter May ist nicht nur ein spannender und fesselnder Krimi gelungen, sondern auch eine berührende Geschichte menschlicher Zerbrechlichkeit. So feinfühlig er das Innenleben eines Demenzkranken beschreibt, so schonungslos stellt er die Verfehlungen katholischer „Gottesdiener“ an den Pranger. Besser als die New York Times kann man es nicht sagen: „Peter May ist ein Autor, dem man bis ans Ende der Welt folgen würde“.
Brigitte Hort, Eitorf