Zum Buch:
In tagebuchähnlichen Einträgen zeigt dieses Buch, wie die Dichterin Friederike Mayröcker in den Jahren 2017 bis 2019 schreibend gelebt hat. Schreiben hat hier, wie man als Leserin sehr deutlich spürt, wenig mit der Hervorbringung eines Buches zu tun – mitunter kann man vielmehr unsicher werden, ob man das Eintauchen in diesen Text noch als Lesen bezeichnen kann. Im Schreiben als poetischer Lebenspraxis, wie wir es bei Mayröcker vorfinden, springen Bilder der frühen Kindheit aus dem Erleben der Gegenwart heraus, entfaltet sich jede Beobachtung der Gegenwart rückwirkend in den Erinnerungen an Freund*innen und Wegbegleiter.
Statt den nur schwer fassbaren Inhalt des Buches in noch extravagantere und noch vagere Bilder zu kleiden, um einen Eindruck von ihm zu vermitteln, werde ich so genau wie möglich zu beschreiben versuchen, worum es in diesem Text geht. da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete zeigt die Gleichzeitigkeit von Vergangenem in der Gegenwart eher, als dass sie sie beschreibt. Ein vertrautes und geliebtes Du ansprechend, verweben sich in den Tagebucheinträgen Erinnerungen an intellektuelle und künstlerische Freundschaften mit denen der frühen Kindheit. Und immer wieder erscheint als wiederkehrendes Motiv die physische Gegenwart, die vor allem von körperlichen Realitäten des Alterns geprägt ist.
Ohne dass die Autorin es konkretisiert, bleibt der Eindruck, der Text selbst fungiere als das titelgebende Fenster, das den Blick nicht nur auf eine überreiche und sich wandelnde Natur/Kultur freigibt, sondern in dem Worte wie klebende Fliegenfänger hängen, auf denen sich Bilder, Synonyme, Geschichten und Erlebnisse niederlassen.
Da eine konkrete und metaphernfreie Beschreibung bei diesem Buch einfach nicht gelingen will, seien nur ein paar wenige Zeilen direkt aus dem Buch zitiert: „schon wollen die Augen zufallen, und kratzt trotzdem ein Wort oder halben Satz wird daraus kleines Tierchen welches davonkriecht, ich fühle mich ganz zerrissen ich habe mich in die Zunge gebissen, wenn ich mich VERLESE ist alles gerettet wenn ich mich VERHÖRE ist alles gerettet“. Syntax und Grammatik werden zu den eigentlichen Protagonisten. Ein Buch, das ganz eindeutig eine veränderte Lesepraxis verlangt, in der das Lesen nicht selbst- und eigenständige Unterhaltungs- oder Bildungspraxis ist, sondern als Ausdruck realer Lebendigkeit um sich greift.
Theresa Mayer, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt