Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
McCarthy, Tom

Der Dreh von Inkarnation

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach
Beschreibung

Tom McCarthy zählt mit Sicherheit zu den Gegenwartsautoren, die sich in ihren Romanen am intensivsten und interessantesten mit Fragen der Technik auseinandersetzen. So auch in seinem jetzt in der deutschen Übersetzung von Ulrich Blumenbach erschienenen Roman Der Dreh von Inkarnation. Nicht nur seine Kenntnis zeitgenössischer und historischer Bewegungslehre, Mechanik und Kinetik, sondern gerade die Fähigkeit, damit und darüber einen ebenso unterhaltsamen wie spannenden Roman zu schreiben, zeichnet dieses Buch aus. Die Suche nach einer verschollenen Kiste aus dem Nachlass der Bewegungstheoretikerin Lillian Gilbreth verbindet unterschiedliche Handlungsstränge, die zeigen, welche Relevanz und Macht die Untersuchung von Bewegung in unserer Gegenwart hat.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Suhrkamp Verlag, 2023
Format
Gebunden
Seiten
445 Seiten
ISBN/EAN
978-3-518-43123-8
Preis
25,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Tom McCarthy, geboren 1969, ist Schriftsteller, Künstler und Generalsekretär der International Necronautical Society, einem semi-fiktiven Avantgarde-Netzwerk. Er hat zahlreiche Essays, Erzählungen und Romane veröffentlicht, die in 25 Sprachen übersetzt und für Kino, Theater und Radio adaptiert worden sind. Für sein Werk hat er zahlreiche Preise erhalten, u. a. den ersten Windham-Campbell-Literaturpreis. McCarthy lebt mit seiner Familie in Berlin.

Zum Buch:

Tom McCarthy zählt mit Sicherheit zu den Gegenwartsautoren, die sich in ihren Romanen am intensivsten und interessantesten mit Fragen der Technik auseinandersetzen. So auch in seinem jetzt in der deutschen Übersetzung von Ulrich Blumenbach erschienenen Roman Der Dreh von Inkarnation. Nicht nur seine Kenntnis zeitgenössischer und historischer Bewegungslehre, Mechanik und Kinetik, sondern gerade die Fähigkeit, damit und darüber einen ebenso unterhaltsamen wie spannenden Roman zu schreiben, zeichnet dieses Buch aus. Wer hinter Der Dreh von Inkarnation jedoch einen semi-didaktischen Historienroman für Nischeninteressierte vermutet, liegt ebenfalls falsch. Sowohl auf der Ebene der Charakterzeichnungen wie der poetischen Beschreibungen von physikalischen Kräfteverhältnissen bewegt sich McCarthys Roman auf höchstem literarischem Niveau.

Seinem wissenschaftlichen Interesse in der deutschsprachigen Literatur kommen höchsten noch Dietmar Dath und Clemens Setz gleich. Wie bei den genannten Autoren ist für Tom McCarthy Literatur ein Werkzeug des Nachdenkens über die Zusammenhänge des Lebens, in einer ganz und gar grundlegenden, un-metaphorischen Art, die fern ist von jeder Transzendenz.

Doch nun zunächst zum Inhalt: mehrere Handlungsstränge entwickeln sich, verbunden durch die Suche nach einer verschollenen Kiste aus dem Archiv der Forscherin Lillian Gilbreth. Als Ingenieurin wurde sie zu einer gefragten Expertin für die Analyse menschlicher Bewegungsabläufe in Fabriken, sowohl im Kontext des Fordismus als auch in der Produktionsforschung der Sowjet Union. In der Gegenwart nun wird das Interesse an der Frage, wie Bewegung und physische Kräfte analysiert und optimiert werden können, und damit das Interesse an dem Nachlass von Gilbreth aus unterschiedlichsten Blickwinkeln interessant: eine Firma wird von einer milliardenschweren Filmproduktion beauftragt, die physische Realität einer Implosion im Weltraum zu erforschen und im Wechselspiel zwischen Experimenten am Modell und KI-geführtem Rendering auszuarbeiten; eine andere Ebene widmet sich der Militärforschung und der Bedeutung unbemannter Flugobjekte. Verbindend taucht immer wieder die Vorstellung auf, der sich BewegungstheoretikerInnen nicht entziehen können: die vollends optimierte Bewegung ohne Verschleiß, das Perpetuum Mobile.

Auch wenn die Genauigkeit, mit der Tom McCarthy das Faszinosum der Physik in unterschiedlichsten Bereichen aufzeigt, mitunter für die darin nicht bewanderte LeserIn anstrengend sein kann, würde sich eine Lektüre auch aus rein literarischen Gründen lohnen. Um sich davon zu überzeugen, genügt es, die großartige Beschreibung der Wellenmaschine in der Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffsbau Berlin zu lesen, mit der der Roman einsetzt. Ein Roman, der die Mühe lohnt.

Theresa Mayer, Frankfurt