Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Mohamed, Nadifa

Der Garten der verlorenen Seelen

Untertitel
Roman. Aus dem Englischen von Susanne Urban
Beschreibung

Im Jahr 1986, dem Jahr, in dem das diktatorisch regierte Somalia im Bürgerkrieg versinkt, bereiten sich zwei Frauen und ein Kind auf das große Fest in der somalischen Stadt Hargeisa vor, mit dem sich die Machthaber feiern wollen. Die Witwe Kawsar legt wie alle Frauen der Stadt die vorgeschriebene traditionelle Kleidung an, die neunjährige Deqo rekapituliert die Tanzschritte, die sie und die anderen Kinder aus ihrem Flüchtlingslager unter Schlägen gelernt haben, und die Soldatin Filsan soll mit ihrer Einheit für die Sicherheit der geladenen Gäste sorgen. Für alle drei endet das Fest katastrophal.

„Der Garten der verlorenen Seelen“ ist ein Buch, das man so schnell nicht vergessen wird. In knapper Sprache und wunderschönen poetischen Bildern führt uns die Autorin die Lebensbedingungen im Ausnahmezustand vor Augen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag C.H.Beck, 2014
Format
Gebunden
Seiten
269 Seiten
ISBN/EAN
978-3-406-66313-0
Preis
19,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Nadifa Mohamed, *1981 in Hargeisa, Somalia, kam als Kind mit ihrer Familie nach London und studierte in Oxford Geschichte und Politik. 2010 erschien ihr hochgelobter Roman „Black Mamba Boy“, der den Betty Trask Award gewann. Sie zählt zu den 20 „Best of Young British Novelists“ der renommierten englischen Zeitung „Granta“.

Zum Buch:

Im Jahr 1986, dem Jahr, in dem das diktatorisch regierte Somalia im Bürgerkrieg versinkt, bereiten sich zwei Frauen und ein Kind auf das große Fest in der somalischen Stadt Hargeisa vor, mit dem sich die Machthaber feiern wollen. Die Witwe Kawsar legt wie alle Frauen der Stadt die vorgeschriebene traditionelle Kleidung an, die neunjährige Deqo rekapituliert die Tanzschritte, die sie und die anderen Kinder aus ihrem Flüchtlingslager unter Schlägen gelernt haben, und die Soldatin Filsan soll mit ihrer Einheit für die Sicherheit der geladenen Gäste sorgen. Für alle drei endet das Fest katastrophal: Deqo vergisst vor Aufregung ihre Tanzschritte und wird dafür von ihrer Lehrerin verprügelt. Kawsar, die den Verlust ihrer eigenen Tochter nie verwunden hat, greift ein, um das Kind zu schützen, und wird zusammen mit Deqo ins Gefängnis gebracht. Das Mädchen kann sich herausreden, Kawsar dagegen muss die Nacht in Gesellschaft von Huren und anderen unerwünschten Elementen in einer überfüllten Zelle verbringen. Filsan dagegen, der die, wie sie glaubt, hohe Ehre zuteil wird, einen wichtigen General, der ihren Vater gut gekannt hatte, im Wagen zu begleiten, muss erkennen, dass der sie keineswegs befördern, sondern schlicht mit ihr ins Bett will. Entsprechend frustriert und wütend prügelt sie bei Kawsars Verhör am nächsten Morgen so hart auf die alte Frau ein, dass die sich die Hüfte bricht.

Nadifa Mohamed folgt ihren drei sehr verschiedenen Protagonistinnen bei ihren Versuchen, in einem „failed state“ zu überleben, in dem es nur noch Feinde gibt. Wir erleben, wie sich Deqo, die nicht mehr ins Flüchtlingslager zurück kann und will, zunächst eine prekäre Unterkunft in einer Tonne sucht, dann bei drei Prostituierten putzt, bis auch die die Stadt verlassen, nicht ohne sie einem „Beschützer“ zu übergeben, vor dessen sexuellen Übergriffen sie dann in das aufgegebene Haus einer reichen Familie flieht, trotz der im Garten liegenden Leichen. Kawsar ist seit ihrer Hüftverletzung ans Bett gefesselt und auf die Hilfe ihrer alten Freundin angewiesen. Und Filsan schließlich desertiert, als der Soldat, in den sie sich verliebt hat, bei einem Rebellenangriff stirbt.

„Der Garten der verlorenen Seelen“ ist ein Buch, das man so schnell nicht vergessen wird. In knapper Sprache und wunderschönen poetischen Bildern führt uns die Autorin die Lebensbedingungen im Ausnahmezustand vor Augen. Ihr geht es nicht um Politik, nicht um die „richtige“ Seite, sondern einzig um den Alltag in einer Situation, in der es keinen Alltag im Sinne von Gewohnheiten mehr gibt. Und da die verschiedenen Parteien in diesem Bürgerkrieg Jagd auf junge und alte Männer machen, um sie in ihre jeweilige Armee zu pressen, bleibt die Bewältigung dieses Nicht-Alltags den Frauen überlassen, die aufgrund ihres Geschlechts eigenen Gefahren ausgesetzt sind: Vergewaltigung und Mord. Wohl selten sind die Mühen und Gefahren eines solchen Lebens so aufmerksam, so überzeugend und so liebevoll beschrieben worden wie hier. Und wenn auch der Schluss, an dem sich die drei Protagonistinnen wiederfinden und, wie Deqo es ausdrückt, eine „zusammengeschusterte“ Familie bilden – die einzige Einheit, die in einer solchen Situation noch trägt – in seiner Märchenhaftigkeit hinter den eindrücklichen Realismus des übrigen Romans deutlich zurückfällt, so war ich der Autorin für ein wenig Trost in einer so grauenhaften Situation doch sehr dankbar.

Irmgard Hölscher, Frankfurt am Main