Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Mora, Terézia

Muna oder Die Hälfte des Lebens

Untertitel
Roman
Beschreibung

Endlich ein neuer Roman von Terézia Mora! Mit Muna oder Die Hälfte des Lebens beginnt Mora ihre „Trilogie der Frauen“, die sie in ihrem poetologischen „Tage- und Arbeitsbuch“ Fleckenverlauf (2021) angekündigt hatte. Die Autorin erzählt darin die Geschichte der jungen Frau Muna, die sich erstaunlich hartnäckig ihren Weg durch Kulturprekariat und toxische Beziehungen bahnt. Erzählerisch ist der Roman eine Meisterleistung, was nicht zuletzt zur Shortlist-Platzierung für den Deutschen Buchpreis geführt hat.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Luchterhand Literaturverlag, 2023
Format
Gebunden
Seiten
448 Seiten
ISBN/EAN
978-3-630-87496-8
Preis
25,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman »Das Ungeheuer« erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband »Seltsame Materie«, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzer*innen aus dem Ungarischen.

Zum Buch:

Endlich ein neuer Roman von Terézia Mora! Mit Muna oder Die Hälfte des Lebens beginnt Mora ihre „Trilogie der Frauen“, die sie in ihrem poetologischen „Tage- und Arbeitsbuch“ Fleckenverlauf (2021) angekündigt hatte. Die Autorin erzählt darin die Geschichte der jungen Frau Muna, die sich erstaunlich hartnäckig ihren Weg durch Kulturprekariat und toxische Beziehungen bahnt. Erzählerisch ist der Roman eine Meisterleistung, was nicht zuletzt zur Shortlist-Platzierung für den Deutschen Buchpreis geführt hat.

Muna wächst als Tochter einer Schauspielerin in einer DDR-Kleinstadt auf. Neben der Schule beginnt sie ein Praktikum in der Redaktion eines Magazins. Dort lernt sie Magnus kennen, „den schönsten Mann der Welt“, der allerdings auch der unzugänglichste und narzisstischste Mann der Welt ist. Muna verliebt sich auf den ersten Blick in ihn und kann von dieser Liebe nicht lassen – auch als Magnus in den Westen flieht und sie nichts mehr von ihm hört. Als Muna 18 ist, fällt die Mauer. Sie zieht zum Studieren nach Berlin (und wird von einem Hochschullehrer sexuell ausgenutzt), verbringt ein Auslandssemester in London (und wird in einem Babysitter-Job ausgenutzt), und beginnt eine Dissertation in Wien (und wird von einer charismatischen Chefin ausgenutzt). Sie hangelt sich von prekärer Projektstelle zu Projektstelle, als sie Magnus zufällig wiederbegegnet. Sie werden ein Paar, und Muna will nichts anderes als bei Magnus sein, obwohl immer deutlicher wird, wie schwierig, egoman – und später sogar offen gewaltsam gegen Muna – Magnus sich gebärdet.

Der Roman setzt kurz nach Munas achtzehntem Geburtstag ein: Ihre alkoholkranke Mutter wird nach einem Selbstmordversuch mit dem Krankenwagen abgeholt. Muna will dem Krankenwagen mit dem Fahrrad folgen, aber ein Reifen ist platt, nachdem jemand ihn angestochen hat. Diese Fahrradprobleme in zentralen Episoden ziehen sich durch das gesamte Buch. Hinter dem rasenden Leben und dem rasenden Magnus, dessen Gewohnheit es ist, nachts mit hoher Geschwindigkeit auf dem Fahrrad durch die Stadt zu fahren, kommt sie nicht hinterher. Mit dem angestochenen Reifen beginnt die Erzählung von der Gewalt, die Muna angetan wird. Der Roman handelt von Ausbeutung und von den verschiedenen Verkleidungen, in die sich Gewalt tarnen kann – als persönlicher Kreativjob, als intime Beziehung. Nicht zufällig ist Muna Teil des Kulturprekariats: Sie hat stets Jobs mit hohem symbolischen und geringem ökonomischem Kapital und wird dabei auf sehr vielschichtige – mal latent, mal sehr explizit – ausgebeutet und missbraucht, ohne es als solches wahrzunehmen. Vielmehr führt sie das Prekäre ihrer Situation – beruflich wie privat – auf ihre eigene Unzulänglichkeit zurück, die ihr zudem ihre Mutter ständig vorhält. Soweit keine ungewöhnliche Geschichte.

Außergewöhnlich ist, wie Mora diesen komplizierten Ausbeutungs- und Missbrauchsstrukturen eine Sprache zu geben versteht, bei der die Diskrepanz zwischen Munas unzuverlässiger Erzählung und dem Überblick, den die LeserIinnen gewinnen, immer größer wird. Mora bringt die Sprachlosigkeit misogyner Gewalt zur Sprache und tut das mit meisterhafter Erzählkunst. In einer Episode etwa misshandelt Magnus Muna körperlich und sperrt sie danach ein, damit niemand Spuren auf ihrem Körper sieht. Erzählt wird jedoch aus Munas Perspektive, die ihn während der Tat rechtfertigt. Genauso werden Strukturen geschildert, in denen der Missbrauch plötzlich scheinbar als selbstverständlich in die sie umgebene Normalität fällt und das Opfer statt Hilfe nur Verachtung oder allenfalls Mitleid erfährt. Mora arbeitet mit diesem Roman an einem viel wirksameren Instrument als dem moralischen Mahnen: an einer sprachlichen Evidenz, die uns verdeckte Zusammenhänge von Gewalt erst erkennen lassen. Sie hält inne an Stellen, an denen sich Feiglinge schnell für das Weiter- und Darüberhinwegleben entscheiden. Moras Erzählung ist politisch, intim, schamlos und nicht zuletzt ungemein fesselnd. Und obwohl Muna bis zuletzt an Magnus festhält, scheint sie auch eine Sprache zu finden für ihre verschiedenen Erlebnisse, denn sie wird zuletzt, mit knapp 40 Jahren, Schriftstellerin. Das Buch endet mit einem Cliffhanger – die Fortsetzung kann nur mit Vorfreude erwartet werden!

Alena Heinritz, Innsbruck