Zum Buch:
Der 337. Band aus der Reihe „Die Andere Bibliothek“ ist genau das, wofür diese Sammlung steht, nämlich für außergewöhnliche, ausgesucht gute Literatur; Texte, die kaum jemand kennt, die aber immer schon zeitlos waren. Nach all den Querelen der letzten Jahre kann man nur hoffen, die Reihe hat endlich wieder einen festen und beständigen Heimathafen gefunden und bleibt uns somit noch lange erhalten.
Dass der Autor von „Anton Reiser“ Karl Philipp Moritz heißt, das wusste ich zwar. Doch gelesen habe ich das Buch nicht. Was ich jedoch bisher nicht wusste, ist, dass Moritz zeitgleich mit Goethe in Italien war, ja dass die beiden sogar gut miteinander bekannt waren, obwohl zwei Menschen kaum unterschiedlicher hätten sein können. Wenn man nun Goethes „Italienische Reise“ mit einer Art DuMont-Kunstreiseführer vergleichen wollte, so käme man nicht umhin, Moritz` „Reisen eines Deutschen in Italien“ für eine frühe Form der Lonely-Planet-Reiseführer zu halten. Wohl auch deshalb, weil Moritz große Strecken zu Fuß bewältigen und, auch das im Gegensatz zu Goethe, jeden Taler gleich zweimal umdrehen musste. Und wo Goethe sich mit langatmigen und bis aufs I-Tüpfelchen ausgefeilten Beschreibungen von Fresken und herumliegenden Säulenbögen aufhält, erzählt Moritz eher aus der Hüfte heraus über seine ewigen Streitereien mit aufdringlichen Führern und lästigen Nippesverkäufern, die er sich vom Hals halten muss, von schlechtem Essen und gutem, aber billigem Wein, von brennenden Fußschmerzen und langen, viel zu heißen Nachmittagen in Mantua, in Rimini, Loretto und Neapel und natürlich in Rom, wo er sich bei einem Ausritt den Arm brach und lange Wochen in einem zweitklassigen, aber immerhin sauberen Zimmer daniederlag. Neben seinen Beschreibungen von Sitten und Gebräuchen lässt er es sich auch nicht nehmen, einen kritischen Blick auf seine Mitreisenden zu werfen, was mitunter sehr humorvoll geschieht, auch wenn das vielleicht gar nicht so gewollt war. Schließlich kommt dann auch Moritz nicht daran vorbei, sich über die ungeheuren Kunstschätze und antiken Bauten auszulassen, die ihm gerade in Rom auf jedem Schritt begegnen, doch gerät er dabei eben nicht in eine solch schwärmerische Ekstase, wie man sie bei Goethe kennt, und das macht das Ganze entsprechend angenehm lesbarer.
Moritz blieb zwei Jahre in Italien. Es ist ihm zu verdanken, dass uns heutigen Italienreisenden ein klares, ehrliches Bild davon vor Augen steht, wie es so vor über zweihundert Jahren war, in diesem schönen Land unterwegs zu sein, mit nichts als ein paar Ideen im Kopf und ansonsten mit leichtem Gepäck und wenig Geld in den Taschen. Keine Frage, dass man dabei in sehnsüchtiges, von Fernweh beseeltes Schwärmen gerät.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln