Zum Buch:
Man schreibt das Jahr 1886. Der Maori Paratene te Manu sitzt dem böhmischen Maler Gottfried Lindauer im Hinterhaus eines Tabakladens in Auckland Modell. Während der Sitzungen erinnert sich der zum Christentum konvertierte Ureinwohner an seine Reise nach England im Jahr 1863. Ein feinsinniger, reicher Roman, den Paula Morris auf der Grundlage der Aufzeichnungen ihres Vorfahren, erhalten gebliebener Briefwechsel und zeitgenössischer Zeitungsberichte geschrieben hat. Er wurde 2012 mit dem bedeutendsten neuseeländischen Literaturpreis ausgezeichnet.
Als sein Bruder und sein Sohn kurz nacheinander sterben, unterzeichnet Paratene ein Papier, mit dem er sich verpflichtet, unter bestimmten Bedingungen mit dem Wesleyaner William Jenkins von Neuseeland nach England zu segeln. Er hat das Papier nicht gelesen. Die Überfahrt auf der Ida Zeigler dauert hundert Nächte, in denen die 14 Maori in einer kleinen dunklen Kajüte unter Deck wie niedrigste Gefangene untergebracht sind. Paratene ist – wie alle anderen Auserwählten – kein gewöhnliches Stammesmitglied, er ist ein Rangatira, ein Anführer, Krieger, Held, Gebieter und weiser Mann. Er hat als Jüngling Anfang der 1820er Jahre unter dem großen Hongi gekämpft, der in diesen Kämpfen den Helm und die Rüstung trug, die ihm König George IV. 1820 in England geschenkt hatte. Auch 1863 werden die Maori nicht nur von dem Prinzen und der Prinzessin von Wales, sondern auch von Königin Victoria empfangen. Doch nicht alle Menschen begegnen der Gruppe mit Respekt. Für viele Engländer sind sie eine Attraktion: Kannibalen, exotische Wilde aus der englischen Kolonie, im Gesicht tätowiert, mit grünen Lippen. Und der Organisator der Reise, William Jenkins, hat wohl auch ein finanzielles Interesse daran, die Maori auf Veranstaltungen so auszustellen.
Erzählt wird der Roman in Form von persönlichen Aufzeichnungen Paratene te Manus, Aufzeichnungen, aus denen nicht nur historisches Bewusstsein, sondern auch große Weisheit und ein unglaubliches Feingefühl für menschliche Stärken und Schwächen spricht. Der Roman liest sich wie ein historisches Abenteuer, aber auch wie ein Plädoyer für einen respektvollen, menschlichen Umgang miteinander, der heute nicht weniger notwendig ist als vor 150 Jahren.
Susanne Rikl, München