Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Debré, Constance

Love Me Tender

Untertitel
Roman. Aus dem Französischen von Max Henninger
Beschreibung

Eine steile Karriere, angesehene Familie, Ehemann und Kind – Constance Debré hat all das und wendet sich davon ab. Sie entschließt sich zu einem Leben, das schon viele Männer vor ihr gewählt haben: Sie scheidet ihre Ehe, widmet sich ausschließlich dem Schreiben, verzichtet auf die materiellen Sicherheiten einer festen Wohn- oder Arbeitsstelle und geht mit immer anderen Frauen ins Bett.
Dieses Buch streitet mit seinen LeserInnen über Prioritäten und Bedingungen, über soziale Zuschreibungen und Selbstverständlichkeiten. Wer es wagt, sich darauf einzulassen, wird vielleicht nicht die Position der Protagonistin einnehmen, wird aber sicher differenzierter über Mutterschaft, die Bedingungen für Autorinnenschaft und über soziale Rollen in der Gegenwart nachdenken.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Matthes & Seitz, 2024
Format
Gebunden.
Seiten
149 Seiten
ISBN/EAN
978-3-7518-0957-3
Preis
20,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Constance Debré wurde 1972 geboren, arbeitete als Anwältin, bevor sie sich in Vollzeit dem Schreiben widmete. Bisher veröffentlichte sie vier Romane. Love Me tender ist das erste davon, das ins Deutsche übersetzt wurde.

Zum Buch:

Dieses Buch stellt uns auf die Probe: Was verlangen wir von einer Mutter? Was für Vorstellungen von Mutterschaft prägen uns? Die französische Autorin Constance Debré erzählt in ihrem autofiktionalen Roman ihre Geschichte. Nachdem sie sich dafür entschieden hat, ihren Beruf als Anwältin aufzugeben, sich von ihrem Mann zu trennen und fortan nur noch zu schreiben, zu schwimmen, zu rauchen und mit Frauen zu schlafen, fühlt sie sich auf dem einzig richtigen Weg. Dieser trennt sie aber immer mehr von ihrem Sohn Paul. Ihr Ex-Mann verhindert den Kontakt zu ihrem Sohn und setzt sich mit juristischen Mitteln dafür ein, dass ihr nicht nur das Sorge-, sondern auch das Besuchsrecht entzogen wird. Es ist kaum möglich, diese Geschichte beobachtend zu lesen, denn sie fordert ihre LeserInnen beständig dazu auf, sich zu positionieren, Positionen zu überdenken, neu auszurichten. Darin liegt die ungeheure Stärke dieses Buchs.
Der radikale biografische Schnitt der Protagonistin – Kündigung, Scheidung, Umzug aus der Kleinfamilie in prekäre Wohnsituationen – ist begleitet von einer Veränderung des Äußeren. Sie tritt mit kurzgeschorenen Haaren, tätowiert und muskulös betont edgy auf und weist die Sozialarbeiterin darauf hin, dass sie nicht die Mutti ihres Sohns, sondern seine Mutter sei – etwas ganz anderes. In klarer, brutaler Sprache und voll vom Pathos des Extremen zeichnet die Autorin ein Bild von einer Frau, die entschieden hat, keine Kompromisse mehr einzugehen. Dass das für die Protagonistin mit Schmerzen und Entbehrungen einhergeht, ist nicht weiter verwunderlich. Sie erträgt sie mit wütendem Trotz. Sympathisch wird sie der Leserin dabei nicht, aber etwas von ihrer Wut bahnt sich ihren Weg aus den Buchdeckeln hinaus.
Die Protagonistin Constance wünscht sich eine Beziehung zu ihrem Sohn Paul, die nicht auf Sorge, Verlässlichkeit und Aufopferung aufbaut. Ist das ein vermessener Wunsch? Jedenfalls fühlt sie sich mit diesem Wunsch ziemlich allein. Weder ihr Ex-Mann noch ihr Sohn können diesen Wunsch nachvollziehen. Nach der Trennung beschreibt ihr Ex-Mann Laurent ihre Entwicklung zunehmend als Prozess der Verwahrlosung und Radikalisierung – kein geeignetes Umfeld für einen Sohn. Sie hat kaum Geld, isst nicht und wenn, dann Essen, das andere in Mülleimern zurückgelassen haben oder das sie aus Supermärkten stiehlt, raucht dafür umso mehr, schwimmt täglich, schläft mit unzähligen Frauen und … schreibt.
Interessanterweise ist es besonders das Schreiben, dass den Zorn ihres Umfelds auf sich zieht: Wer schreibt, hat keinen Blick für das direkte Umfeld, kann sich nicht kümmern und für die Bedürfnisse der anderen sorgen. Es scheint, als sei in der Interpretation des Ex-Manns ihr Schreiben der Kern des Übels, der zu Verwahrlosung, Lesbianismus und Unweiblichkeit führt. Damit lässt sich das Buch als radikale Poetologie lesen: Hier geht es um die Bedingungen für das Schreiben, die höchst ungleich verteilt sind. Mutterschaft und Autorinnenschaft scheinen sich ganz selbstverständlich auszuschließen.
Dieses Buch streitet mit seinen LeserInnen über Prioritäten und Bedingungen, über soziale Zuschreibungen und Selbstverständlichkeiten. Wer es wagt, sich darauf einzulassen, wird vielleicht nicht die Position der Protagonistin einnehmen, wird aber sicher differenzierter über Mutterschaft, die Bedingungen für Autorinnenschaft und über soziale Rollen in der Gegenwart nachdenken.

Alena Heinritz, Innsbruck