Zum Buch:
Vier Frauen, alle Mitte dreißig, alle miteinander befreundet. Yoko stammt aus Tokio, sie sieht atemberaubend gut aus, ist die Tochter eines japanischen Goethe-Forschers, lebt als erfolgreiche Architektin in Berlin und kann sich vor Männern kaum retten. Sie traut sich nicht, die ihr von ihrem Chef immer wieder angebotene Verantwortung als Partnerin in seinem Büro zu übernehmen. Woran liegt es? An den Schuldgefühlen gegenüber ihrem Vater, der an Krebs (oder vielleicht doch an Gram über seine unmoralische Tochter) starb?
Friederike sieht längst nicht so gut aus, ist aber dafür besessen von Literatur und Texten, charismatisch, präsent durch ihre Lebendigkeit und ihre Ideen. Sie hat einen wunderbaren Laden, in dem sie, wie in einer Galerie, ein thematisches Sortiment inszeniert und zum Geldverdienen leckerste Torten und Kaffee verkauft (das Geschäft gibt es übrigens offenbar wirklich so ähnlich in der Berliner Auguststraße). Leider sehnt sie sich nach einer verlässlichen Beziehung zu Tom und nach einem gemeinsamen Kind. Aber Tom schreckt vor Nähe zurück.
Siri hat ein Kind und einen Mann. Das Kind ist eigentlich super, der Mann perfekt nur mag sie mit ihm nicht leben und traut sich nicht, das auszusprechen. Kranksein ist nicht die einzige Sprache, in der du verstanden wirst. Hilft ihr diese Diagnose ihrer engsten Vertrauten? Alison kann nicht gut allein sein. Leider scheint Viktor, ihr Lebensgefährte, auf unerklärliche Weise während einer Geschäftsreise nach Japan abhanden gekommen zu sein, und jetzt, wo sie ohne Viktor agieren muss, gerät ihr alles zu fahrigen Bewegungen, zu Formen, die sie beiläufig produzierte. Unklar auch ihre beruflichen Ziele. Sie zeichnet, eigentlich wollte sie künstlerisch arbeiten, nun produziert sie Sternzeichen-Illustrationen für Magazine und lebt von diesem Kompromiss nicht einmal schlecht, wäre da nicht die Sehnsucht nach dem Eigentlichen.
Annika Reich beschreibt sehr klug ein Lebensgefühl, das, der Verdacht sei geäußert, spezifisch für diese Frauengeneration genannt werden kann. Das Empfinden, mit seinem Leben auf einem schnell fahrenden Zug zu sitzen, die Verantwortung für das Fortkommen, bei schwindenden Optionen, scheinbar nicht übernehmen zu müssen dieses Gefühl ist mit Schärfe und Witz porträtiert. Nun ist das Buch zum Glück keine Studie, sondern ein wunderbarer, an vielen Stellen ironischer, komischer und häufig anrührender Roman. Man möchte hervorheben und loben, wie kunstfertig die vier Frauenleben miteinander verbunden sind, wie abwechslungsreich und überraschend Stil und Szenen komponiert wurden.
Wenn Alison in Tokio nach dem scheinbar verschollenen Viktor und nach ihrer eigenen, vielleicht existierenden Doppelgängerin sucht (eine Reise, der Yoko sich übrigens anschließt, um endlich ein Kapitel abzuschließen, und die ohne Berührungspunkte in völliger Parallelität verläuft) fühlt man sich durch surrealistische Stilelemente durchaus an zeitgenössische japanische Autoren erinnert. Nichts hingegen scheint realistischer und banal-bodenständiger zu sein als die Szene, in der die vielleicht schwangere Friederike in der Konditorei Törtchen kauft. Absolute Leseempfehlung!
Claudia Biester, Autorenbuchhandlung Marx & Co., Frankfurt