Zum Buch:
Milwaukee im November 1989. Eine langweilige amerikanische Stadt, typisch in ihrer Mittelmäßigkeit und ihrer Ereignislosigkeit, mittendrin Yuri Balodis. Yuri, der pubertierende Schüler und Sohn lettischer Einwanderer, der sein Leben mit Büchern verbringt und damit, seinem ständig stark alkoholisierten Vater zu lauschen, der allabendlich Schwänke aus seinem voramerikanischen Leben erzählt. Einem Leben, geprägt von Angst vor Verfolgung und Repression, ein Leben, das so unerträglich wurde, daß Rudolfs und Mara, Yuris Eltern, keinen anderen Ausweg mehr sahen, als auf einem Viehtransport nach Finnland in den gelobten Westen zu fliehen. Ein Schweinecontainer bahnt also den Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Fast möchte man weinen, so traurig, so zynisch mutet das an und dann lacht man doch lieber mit Rudolfs und Mara, daß sie nun ihrem Sohn ein anderes Leben bieten können. Eines in Freiheit nämlich, eines, in dem er selber entscheiden kann, was gut, was richtig ist. Saufen und Autos klauen zum Beispiel.
Und Yuri? Den tangiert das alles wenig. Kein Wunder, mit 16 Jahren ist man nicht in dem Alter, sich über die vergangenen Probleme der Eltern zu bekümmern. So begreift Yuri auch nur einen Bruchteil der Aufregung, als in der alten Welt die Mauer fällt und der gesamte Ostblock zusammen-, die Sowjetunion auseinanderbricht. Yuri interessiert sich viel mehr für seine Mitschülerin Hannah, Tochter eines Möchtegern-Sozialisten, in die er unsterblich verliebt zu sein glaubt. Mit ihr führt er nächtefüllende Gespräche über den Sozialismus als finales Ziel der Menschlichkeit, mit ihr verkauft er den Sozialistischen Arbeiter und lauscht bewundernd den hochtrabenden Reden ihres Vaters.
Das steht im krassen Gegensatz zur Gedankenwelt seiner Eltern, insbesondere seines Vaters, der in Lettland politisch verfolgt war und in den 60er Jahren nur mit Mühen der Sowjetdiktatur entkam. Geblieben sind ihm die verklärten Erinnerungen an die Schönheit der lettischen Sprache und Kultur ebenso wie eine durch Folter verstümmelte Hand und eine gehörige Portion Wehmut über das Scheitern einer Welt, die angetreten war, besser zu sein.
Yuris Vater gerät völlig aus der Fassung, als sich Besuch aus Lettland ankündigt. Cousin Ivan mit Gattin Guna will den Westen kennenlernen. So rückt das Ehepaar an – und zwar anders als angekündigt – zu viert. Eriks, der Sohn und Großmutter Ilga sind mit von der Party. Dafür reist die fremde Familie mit merkwürdig wenig Gepäck … genug Stoff für Yuri, um eine wilde Verschwörungstheorie über Kommen und Gehen seiner Verwandtschaft zu spinnen. Weil er derweil aber noch damit beschäftigt ist, den Unfall mit einem geklauten Auto vor seinen Eltern zu verheimlichen und ganz nebenbei noch seine abtrünnige Liebe Hannah zu bekehren, hat er alle Hände voll zu tun. Sein Tun und Lassen, sein Denken und Fühlen schildert Pauls Toutonghi auf unnachahmlich witzige Weise, die niemals denunzierend wirkt und die immer wieder überraschende Handlung zu einem herrlich tragikomischen europäisch-amerikanischen Märchen macht.
Die äußerst gelungene Übertragung aus dem amerikanischen Englisch verdanken wir Eva Bonné. Ihr ist es gelungen, Geist und Witz mit ins Deutsche zu übersetzen. Herausgekommen ist dabei ein schreiend komisches Buch, das sowohl in seiner Sprach als auch in seinem Humor an Marina Lewyckas großartige Geschichte des Traktors auf Ukrainisch erinnert und mindestens genauso viel Spaß macht.
Julia Irsch, Ypsilon Buchladen & Café, Frankfurt/Main