Zum Buch:
Wer Galsan Tschinag noch nicht kennt, sollte sich diesen Erzählungsband gönnen. Das Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa entführt seine Leser mitten hinein in das Altai-Gebirge und lässt sie aus nächster Nähe erleben, wie es ist, durch Blitz und Donner zu reiten, einen Wolfsvater aus dem Bau fort von seinen Welpen zu zerren, mit einem Jungen im bittersten Schneesturm ein neugeborenes Lämmchen in den Hirtensack zu stecken.
Ausgerechnet mit dem alten Dshaniwek, von dem die Leute nichts Gutes zu erzählen haben, geht der Erzähler auf Wolfsjagd und gerät mit ihm in ein lebensbedrohliches Gewitter auf offener Steppe. Durchnässt und froh, überlebt zu haben, suchen die beiden Reiter Schutz in einem Seitental unter einem überhängenden Felsen. Dort stellt der Jüngere dem Älteren die entscheidende Frage und der ehemalige Lehrer und jetzige Kamelzüchter Dshawinek erzählt die Geschichte seines Lebens, die sich um den Tod seines unehelichen Sohnes Bajnak rankt. Eine wahrhaft “tuwinische Geschichte”! Genauso wie die von “Bisen”, dem Hirtenjungen, der mit seinem Hund Mänkir die Schafe und Zicklein seines Vaters hütet und in einen unerbittlichen Schneesturm gerät. Oder die des Schafhirten Belek, dem seine Einfalt und Furcht im Weg stehen, bis ihm im hohen Alter ein “verspätetes Jagdglück” zuteil wird. Und in “Stimmen der Verwandelten” schließlich lässt ein Schamane, einem Abgesang gleich, die Toten zu den Lebenden sprechen.
Tschinags Geschichten dringen mit ihren kraftvollen Bildern mitten ins Herz des Lesers. Sie zeigen uns, dass in einem völlig anderen, uns fremden Kulturkreis, in dem die Natur noch das Leben der Menschen bestimmt, die Ängste, Hoffnungen und Verletzungen die gleichen sind wie in unserer hochindustrialisierten Gesellschaft. Ein kurzer Hinweis noch für passionierte Tschinag-Leser: Die hier veröffentlichten Geschichten finden sich auch in dem Erzählungsband “Mein Altai” von 2005, der ebenfalls im A1 Verlag erschienen ist.
Susanne Rikl, München