Zum Buch:
Kleine Gefälligkeiten und kleine Grausamkeiten – genau so funktioniert es in einer Familie! Das ist bei den Garretts nicht anders. Mit wenigen Strichen zeichnet Anne Tyler charakteristische Porträts von Familienmitgliedern, deren Eigenarten dann in Enkeln, Nichten oder Neffen wieder auftauchen, egal wie weit Geschwister, Cousins und Cousinen emotional und räumlich voneinander entfernt sind. Eine genau beobachtete Familiengeschichte, bei der die tolerante Distanz im erzählerischen Tonfall ungemein wohltut. Mercy ist eine Mutter, die lieber malt als zu kochen. Zu einem kunstvollen Dessert würde sie sich noch hinreißen lassen, aber die alltägliche Organisation von Essbarem überlässt sie gerne ihrer Ältesten Alice, die diese Rolle gewissenhaft ausfüllt und später mit drei Kindern einen geordneten Familienalltag vorweisen kann. Seltsam, dass Candle, Alice’ Jüngste, fast so gerne über die Stränge schlägt wie Alice’ Schwester Lily und Lilys Tochter Serena wiederum so konzentriert an einem geregelten Familienleben arbeitet wie ihre Tante Alice. Dabei stehen die drei Geschwister Alice, Lily und David kaum noch in Kontakt, nachdem sie ihr Elternhaus hinter sich gelassen haben.
Und trotzdem wissen alle, dass Mercy inzwischen in ihr Atelier gezogen ist, dass man dies aber in den seltenen Familienrunden nicht aussprechen darf. Und weil Eddie, Candles Bruder, seine große Liebe Claude noch niemandem vorgestellt hat, tun ihm alle den Gefallen und schweigen bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen man sich sieht, darüber, dass er mit diesem sanften Mann zusammenlebt. Mit derart rücksichtsvollem Verhalten schlittert der Familienverbund an so manch klärender Aussprache, aber auch an einigen handfesten Auseinandersetzungen vorbei. So ist es eben bei den Garretts. Die Freude an den Enkeln, der Schmerz, wenn das letzte Kind das Elternhaus verlässt, das Bedürfnis nach Einsamkeit und Stille nach kräftezehrenden Jahren der Ehe oder nach einem neuen Lebenspartner nach dem Tod des alten – das eine oder andere kommt einem bekannt vor. Es ist die Empathie, die wie ein zarter Windhauch in einzelnen Beobachtungen erspürt werden kann; sie macht diesen Roman von Anne Tyler so besonders.
Susanne Rikl, München