Belletristik

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Buchempfehlung Belletristik

Autor
Weidermann, Volker

Ostende

Untertitel
1936, Sommer der Freundschaft
Beschreibung

Sommer 1936. Berlin bereitet sich auf die Olympischen Spiele vor und gaukelt der Welt ein weltoffenes und tolerantes Deutschland vor. Die österreichische Regierung versucht mit einigen letzten Volten, dem „Anschluss“ an das deutsche Reich zu entgehen. Im belgischen Seebad Ostende trifft eine Gruppe von Menschen – Schriftsteller, Verleger, politische Aktivisten – aufeinander und tut noch einmal so, als wäre ein unbeschwertes Leben möglich, wenn auch nicht mehr in ihrer Heimat. „Ostende 1936“ ist ein wunderbar kluges, heiteres, melancholisches Buch über eine Gruppe Menschen am Abgrund.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag Kiepenheuer & Witsch, 2014
Format
Gebunden
Seiten
160 Seiten
ISBN/EAN
9783462046007
Preis
17,99 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Volker Weidermann, 1969 in Darmstadt geboren, studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Heidelberg und Berlin. Er ist Literaturredakteur und Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und lebt in Berlin.

Zum Buch:

Im Sommer 1936 fährt der österreichische Erfolgsautor Stefan Zweig zusammen mit seiner Sekretärin (und Geliebten) in das belgische Seebad Ostende. Dort will er arbeiten, fern von häuslichen Querelen und den unsicheren politischen Zuständen in der Heimat. Und er will sich mit Joseph Roth treffen, dem so grundverschiedenen Freund. Zweig, der wohlhabende, assimilierte Wiener Jude, der an seiner „Welt von gestern“ hängt, und Roth, der noch so nahe an seinen ostjüdischen Wurzeln ist, der hellsichtig und böse mit grausamer Klarheit den kommenden Untergang sieht. Zweig, der erfolgsverwöhnte, auflagenstarke Autor, Roth, der begnadete Schriftsteller und haltlose Trinker, der durchs Leben schlingert.

Da sind sie nun in Ostende, dem Ort, an dem Stefan Zweig schon einmal, kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs war, und sie bleiben nicht alleine. Nach und nach treffen andere ein, auch sie bereits auf der Flucht aus Nazideutschland oder in dem Wissen, dass sie es bald sein werden. Toller, Münzenberg, Herman Kesten, Egon Erwin Kisch. Mit Frauen oder Freundinnen. Und es kommt Irmgard Keun, die es in dem Land, das ihre Bücher verbietet, auch nicht mehr aushält und die sich auf der Stelle in Roth verliebt und er sich in sie. Sie alle reden, politisieren, schreiben, trinken und versuchen verzweifelt, so zu tun, als wäre das hier ein normaler, hübscher Sommeraufenthalt am Meer.

Volker Weidermann, Literaturkritiker und Feuilletonchef der FAS, hat ein kluges, heiteres, melancholisches Buch über eine Gruppe von Menschen am Abgrund geschrieben. Die Welt hält noch einmal kurz den Atem an, bevor sie in alle Winde verstreut werden. Nach Brasilien, Amerika, Paris oder zurück nach Deutschland. In den Tod, den Selbstmord, das Verstecken und das Vergessen-Werden. Trotz des Sujets kommt der Text ganz leichtfüßig und unterhaltsam daher, ohne dass der Autor ständig so tut, als wäre er überall am Tisch dabeigesessen. Das liest man gerne, und wenn man damit fertig ist, will man sofort all die Bücher lesen, die, zum Glück, diese Zeiten überdauert haben.

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co., Frankfurt